plötzlich bleibl er wie gebannt vor einem Frauenbildnis stehen, das etwas von Rembrandtscher Kraft und Anschauungstiefehat, das technisch ganz reif und von be
zauberndem koloristischen Reiz ist. Er liest den Namen am Schildchen, blättert im
Katalog, blickt verblüfft auf: „Wilhelm Leibi“. Wer ist das — Wilhelm Leibi? Pro
fessor Arthur von Ramberg von der MünchnerAkademie, mit Courbet befreundet, weiß Auskunft zu geben: Leibi sei ein junger Kölner, fünf
undzwanzig Jahre alt, bis vor kurzem Meisterschüler in Rambergs Atelier. Wegen eines Mißverständnisses sei er ausgetreten und zu Piloty gegangen, aber er arbeite im Grunde ganz selbständig, von jedem Lehrer unabhängig. Wenn übrigens Courbet den Leibi kennen lernen wolle, brauche er nur gegen Abend mitzukommen ins Cafe Probst, da treffe man ihn täglich beim Tarocken . . .
Freilich kam Courbet mit, und jener Herbstabend, wo sich im fahlen Gaslicht des rauchigen Lokals die beiden Männer zum erstenmal ge
genüberstanden und sich, beiderseits unbeholfen im Gebrauch der Sprache des anderen Landes, nur desto beredter und
ausdrucksvoller die Hände schüttelten, ist einer jener zuständlich konventionellen, aber inner
lich bedeutungsvollen, man könnte sagen: eine Kulturentwicklung bestimmenden Momente, deren wir zwar nicht viele, aber desto unvergeßlichere wissen: die reifere, ältere künst
lerische Kultur Frankreichs huldigte in ihrem besten Mann dem jungen Deutschen, der den Beruf in sich hatte, die Kunst seines Vaterlands
dahin zu führen, wo die höhere Schwester seit langem thronte.
Es war Courbets Einfluß, der Leibis Uebersiedelung nach Paris im Spätjahr 1869 veranlaßte. Mäzenatengunst und hohes Verständ
nis einer unendlich verfeinerten Gesellschaft umgaben Leibi während der acht Monate, die er an der Seine lebte. Damals nahm er jenes
unerlernbare Letzte und Feinste der Kunst auf, das er so vollkommen zu einem Bestand- WILHELM LEIBL ALTE PARISERIN. 1869
Mit Genehm, d. Phot. Gesellschaft, Berlin. — Wallraf-Richartz-Museum, Köln
an der alten süßlichen Sentimentalität und kann den Anblick der nackten Wahrheit prüder Weise nicht vertragen. . . .“
In Frankreich dagegen, wo die Kunst evolutionär ist, nicht konservativ wie in Deutschland in der Leibl-Zeit, war — um Schöns Wort zu ge
brauchen — das Auge der großen Menge offen
genug, um Leibis Kunst zu würdigen: Maler, Mäzene, platonische Kunstenthusiasten und die Kritik jubelten ihm zu. Jeder äußere Höhe
punkt Leibischen Schaffens hängt irgendwie mit Paris zusammen, und alle seine äußeren Erfolge kamen aus Paris . . .
Es ist 1869, in München findet die berühmte und Kunstschicksale bestimmende Internationale Ausstellung statt, Courbet durchwandert den Glaspalast. Er hat in der deutschen Abteilung nur für wenige Werke Interesse. An Böcklins Faunenbild, das Viktor Müller dem jungen Hans Thoma als das beste der ganzen Ausstellung pries, geht er achselzuckend vorbei. Aber