George Grosz: Der Abenteurer


Von WILLI WOLFRADT
Mit 1 Abbildung
Das Bild von George Grosz, das hier gezeigt wird, hat midi wie kein anderes von den Möglidikeiten des Futurismus überzeugt.
Ich glaube nicht, daß man das schmerzliche Gefühl von Abreisenden durdi schräge Striche ausdrücken kann, wie es ein italienischer Futurist wollte, und selbst wenn sein ganzes Bild ein Widerhallen dieser Schrägen gewesen wäre und diese nicht völlig isolierte, die künstlerische Einheit negierende Zeichen, so scheint mir ein zartes Gefühl dieser Art futuristisch nicht darstellbar, weil diese Methode an sich eine Schärfe und Überdeutlichkeit mitbringt, die dem Gefühl des Heimwehs oder Abschieds- Schmerzes wesentlich zuwider ist. Auch glaube ich nicht, daß ein Bild wie Carras „rüttelnde Droschke mehr sein kann als ein Trick, als ein geistreiches Experiment, denn es ist aus einer theoretischen Erwägung heraus ent
standen, nicht aber aus einer echten, d. h. weitanschaulich erregten Vision. Diese rüttelnde Droschke ist die fast photographische Aufnahme aller Püffe und Stöße, die man in ihr bekommt,
seismographische Darstellung sozusagen. Ein Weltbild formt sich nicht in diesem Gemälde.
Anders steht es mit dem „Abenteurer von George Grosz. Breitbeinig steht ein verwegener Kerl mitten in der Fläche, so daß sein Herz das des Bildes wird,- in plakathafter Symmetrie, wie die entschlossen gespreizten, geradlinigen
Beine, ergreifen die nach beiden Seiten mit Revolvern drohenden, muskelstrotzenden Arme von der Fläche Besitz. Ein scharf ins Profil geworfener Wildwestlerkopf mit Raubtiergebiß und unheimlich geschliffener Adlernase hebt den Schematismus der Symmetrie auf, der das Tempo des Ganzen hätte verzögern müssen. Dieser imposant-gefährliche Bursche, der mit der kalten Gelassenheit seines Landes der Welt ein „hands up entgegenzurufen scheint, pflanzt sich vor einen Hintergrund hin, der wie eine einzige kühne Phantasie über das Thema
Amerika wirkt. Ein gleichsam durch ein Prisma gesehenes, kreuz und quer zerschnittenes Gefüge von Dingen, die jedes für sich, deutlicher in der Summe die Assoziation „Amerika aufrufen und in dieser wüsten Häufung, in diesem splitternden Gedrängtsein momentaner Eindrücke die Unbegrenztheit der Möglichkeiten symbolisieren. Man soll, nachdem der erste Blick bereits den gellenden, abenteuerlichen, aufpeitschenden Rhythmus erfaßt hat, ohne einzelnes noch zu erkennen, nur aus den
Farbkontrasten, aus der kessen Diagonale der Hauptfigur, aus dem Gegensatz ihrer Breitspurigkeit zu dem ratternden Gewimmel dahinter, aus der entsetzlich zuckenden und tosenden Lästerung der lärmenden Buntheit, die die Leinwand von einer Ecke zur anderen durchgischtet, — man soll dann wie von einem Bilderbogen einmal die Einzelheiten ablesen. Rechts oben ein Gewirr von Masten, Schornsteinen, Wolkenkratzern. Ihr winkliges Queren überschneiden Buchstabenreihen, z. B. musichall steht da , wie Konfetti fallen farbige Signal
scheiben, Amtsstempel, Kreise dazwischen. Panzerschiffe, Loren, perspektivisch übertriebene Fensterreihen vollenden den Eindruck einer toll gewordenen Industrie, einer sich an sich selbst berauschenden Technik. Alles ist wie im Cancan bewegt, nicht nur die Nigger, die gleich neben dem Kopf des Rowdys im Fradc vor einem stripe and stars Banner die Amüsier- Würdelosigkeit dieses Milieus kundtun, einen unheimlichen Kontrast bildend zu dem rabiaten Gesellen, vollends zu dem Totenkopf an der Pfeife, die er zwischen die Zähne geklemmt hält. Dieser Abenteurer erscheint in seinem brutalen Zynismus zugleich als das naturnotwendige Erzeugnis und als ein Rachegott dieser
entseelten Räuberzivilisation. Man hört ordentlieh seine Schreckschüsse hineinknallen in das
Gedudel des cakewalk, in die Gedankenlosigkeit eines von der Maschine besessenen Betriebs.