Katalog-Nr. 79
Menschen in der Straße (Lithographie)
Freundlich.) Einstein hat bekanntlich die Ästhetik der Negerplastik zu schreiben versucht. Für Niemayer („Von Wesen und Wandlung der Plastik , Genius 19191) bewahrt die afri= kanisdhe Kunst den Ursinn der Plastik reiner als irgendeine ihrer geschichtlichen Entfaltungen.
Rührend tritt uns der reine Infantilis = mus im Schaffen Henri Rousseaus entgegen. Rousseau war der erste Europäer unserer Zeit,
der als Künstler Mensch, Ding und Landschaft wieder mit den erstaunten Augen und der reinen Seele des Kindes sah und erlebte. Alles war ihm neu und bedeutsam. Die Erfahrungen der Vergangenheit und das Wissen der Gegenwart haben ihn gar nicht beeinflußt. Seine Seele war ganz auf sich selbst gestellt. Hinter der Realität sah er nicht das Gesetz, sondern das Wunder. Als französischer Kleinbürger malte er das Erlebnis des mexikanischen Urwaldes, den er in jungen Jahren gesehen hatte. Mystik und Dä= monie einer sich selbst überlassenen unbändigen prachtfunkelnden Natur ließ sein traumwand= lerischer Pinsel auf der Leinwand entstehen.
Aber auch die Landschaften, die er von Paris und der Banlieue malt, wachsen — wie schon Wilhelm Uhde hervorgehoben hat — „über alle Realitäten in einer fremdartigen und faszinier renden Weise hinaus . Rousseau ist das Phä= nomen einer schöpferischen Naivität.
Eine Reihe nordischer Künstler fühlt sich seinem Stil und seiner Gesinnung verbunden: vor allem Chagall, Albert=Bloch und Davring= hausen. Am engsten hat sich wohl André Lothe an Rousseau angeschmiegt.
Der Infantilismus eines George Grosz ist dagegen grundverschieden von dem Henri Rousseaus. Vor allem fehlt dem Deutsche Amerikaner die rührende Unabsichtlichkeit des Douaniers. Sein Infantilismus ist bewußte und gewollte Stilform, abgeleitet von Zeichnungen,
wie sie die ungelenke Hand eines gamins auf Häuserwände hinkritzelt. Aus der Perspektive eines frühreifen, verderbten Straßenjungens ver= sucht George Grosz die Großstadt zu sehen, und zwar jene trostlosen Viertel der Peripherie, wo der Mensch von Kindesbeinen an von den Bildern der Not, des Lasters und des
Katalog-Nr. 39
Schreiender Göbel I (Zeichnung)