zierliche Form der Sandale erfillte sein Gemtth mit Sehnsucht
nach dem Fusse, der dazu gehérte, und nach der Eignerin des
Fusses. Durch alle Gauen seines Landes sandte er, und nir~
gend fand sich der Fuss, dem die Sandale passend war, bis
die Boten nach Naukratis kamen und Rhodopis sich als die
rechie Besilzerin der Sandale auswies. Da ward sie mit Ge-
pringe gen Memphis gefihrt, und der Kénig nahm sie zur Ge-
mahlin, und die Pyramide wurde ihr nach ihrem Tode als Кб-
nigliches Grabmal erbauet.

Noch Andre sagen, Rhodopis sei eins mit Nitokris, die in
friiher Zeit tiber Aegyplen herrschte. Nitokris wird in den alten
Nachrichten des Landes, wie ob ihres hochherzigen Sinnes, so
ob ihrer unvergleichlichen Schénheit, ihrer lichten Hautfarbe,
ihrer rosigen Wangen gepriesen. Der Name Rhodopis aber
heisst Rosenwange. Nitokris ward Kénigin, nachdem ihr Bru-
der — oder, wie auch gesagt wird: ihr Gemahl, — der bis
dahin das Reich beherrscht hatte, ermordet war. Ihr Sinn stand
auf Rache. Sie liess ein unterirdisches Gemach von grossem
Umfange erbauen und zu dessen Einweihung cin glanzendes
Fest bereiten; die, von denen sie wusste, dass sie jenes Mor-
des schuldig waren, hatte sie zu dem-Feste der Einweihung in
dies Gemach geladen, und sinnverblendet waren sie erschienen.
Sie sassen in tbermiithiger Lust beim Mahle, als plétzlich die
Seitenpforten in die Héhe rauschten und die Wasser des Nils,
durch verborgene Kanale hereingeleitet, den. Saal erfiillten.
Keiner von den Geladenen kehrte lebend heim. WNitokris aber,
so wird hinzugefiigt, stiirate sich, um aller Rache baar zu blei-
ben, in ein mit Asche gefilltes Gemach.

Bis auf den heutigen Tag ist in jede der Pyramiden ein
Geist gebannt, der sie bewacht. Er zeigt sich, wie des Nachts,
so auch zur heissen Stunde des Mittags, die den Vdlkern des
Siidens die schaurige Geisterstunde ist. Bei der einen Pyramide
erscheint der Geist in der Gestalt eines dtisteren Greises, bei
	einer der andern als ein anmuthig verlockendes Frauenbild.
(Fortsetzung folgt.)
	Paul Delaroche’s Hemicyele.
	Seit dem 1. August hat der Kunsthindler Sachse in Berlin
eine permanente Kunstausstellung erdffnet, welche gegenwartig
als Hauptzierde eine kleine Kopie jenes Gemaldes von Dela-
roche enthalt, das nach seinem Stand-Orte, der Halbrotunde
der école des beaux-arts in Paris, seinen Namen fiihrt, sei-
nem Inhalte nach treffender ,die Apotheose der Kinste* ge-
nannt wiirde. Die Kopie ist von des Meislers eignen Handen
in den Jahren 1841-1853 als Ergebniss gelegentlicher Musse-
stunden so recht con amore ausgeftihrt worden. Eine Verglei-
chung derselben mit dem Original, die chne Zweifel von beson- _
derem Inleresse sein wiirde, muss ich mir versagen, da ich
Letzteres nicht kenne. Ich beschranke mich daher auf die Be-
trachtung der Kopie, die an sich, trotz des kleinen Maassstabes,
nach Inhalt und Ausfiihrung von hervorragender Bedeutung ist.

Um den richtigen Standpunkt fir die Wirdigung des Wer-
kes zu gewinnen, muss man sich erinnern, ftir welchen Ort
und Zweck es bestimmt ist. Denn man hat es hicr nicht mit
einem Staffelei- Gemalde zu thun, das nur in sich selber dic
Bedingungen seiner Existenz triige: vielmehr erscheint im vor-
licgenden Falle die Malerei im engeren Sinn der Architektur
dienstbar, sofern sie eine bestimmte, von dieser geschaffene
Raumlichkeit zu schmiicken sich herbeiliess. Wo aber die bil~
dende Kunst zu solchem Dienste sich bercit erklart, da muss
sie eben ,,als dienendes Glied“, wie der Dichter sagt, зай ет
Ganzes sich anschliessen“*; muss, um dies zu kénnen, einer-
seits auf das Héchste verzichten, was ihr in ihrer Isolirtheit
	derttausend Reichsthaler ausmacht. Auch zeigten sie dem Rei-
senden grosse Haufen von Steinkérnern, welche dort umher-
lagen, bald wie Linsen, bald wie Graupen anzusehen; das wa-
ren die versteinerten Ueberbleibsel von den Speisen der Arbeiter.

Cheops verschmahte kein Mittel, zu dem Gelde 2u kommen,
dessen er fiir solche Ausgaben bedurfte; auch seine eigne ké-
nigliche Tochter musste dazu schaffen nach Kraften. Und sie
schaffie das Geld; und von Jedem, der zu ihr kam, liess sie
sich fir ihre Gunst noch besonders einen Baustein schenken.
Und mit diesen Bausteinen baute sie, sich selbst zum Denkmal,
die mittelste der drei kleinen Pyramiden, welche zur Seité der
Pyramide des Vaters stehen.

Die Herrschaft des Cheops dauerte funfzig Jahre. Nach
ihm wurde sein Bruder Chephren Konig, der sechs und funfzig
Jahre regierte. Er trieb es ebenso mit der Missachtung der
Gétter und der Frohne des Volkes und baute die zweite grosse
Pyramide. Das agypltische Volk aber war heimlichen Zornes
	voll iber die Unbill, deren sich die Koénige schuldig gemacht,
	und beschloss bei sich, ihre Leichen, wenn sie dereinst in den
Grabkammern der Pyramiden beigesetzt, herauszureissen und
zu zerfleischen. Das kam zu den Ohren der Kénige; und weil
sie diese Schmach, die bitterste, die dem agyptischen Manne
widerfahren konnte, fiirchteten, so befaht ein jeder von ihnen,
als er den Tod nahen fihlte, seinen Getreuen, ihn an einem
unbekannten Ort in der Stille zu bestatten. So war von Cheops
wie von Chephren der ungeheure Bau doch umsonst unternom-
men. Scelbst ihres Namens Gedichtniss miihten sich die Aegypter
auszuléschen. Wenn man einen aus dem Volk nach dem Ur-
heber der Pyramiden fragte, so hiess es, sie seien von einem
Hirten, Philitis, gebaut, der zu jener Zeit seine Heerden in der
Gegend getrieben habe. Die umherschweifenden Hirtenstamme
aber waren dem Aegypter ein Greuel; und vom Philitis wird
gesagt, dass er der Philister Ahnherr gewesen sei.

Auf Chephren folgte des Cheops Sohn Mykerinos in der
Herrschaft Aegyptens. Dieser war andres Sinnes; er dffnete
die Tempel der Gétter aufs Neue, verstatiete wiederum Opfer
und Feste, liess Jedem das Seine und sprach Jedem das Recht,
das ihm gebiihrite. Er baute sich als Grabmal die dritte Pyra~
mide, welche jenen beiden an Grésse nachsteht, und der Sar-
kophag mit seinem Leichnam fand in ihrem Grunde seine ge-
heiligte Statte.

Andre aber erzahlen Andres von* der dritten Pyramide.
Nicht Mykerinos sei ihr Erbauer gewesen, sondern Rhodopis
aus Thracien, die Sklavin des Samiers Jadmon, die von Einigen
auch Doricha genannt wird. Xanthos, ebenfalls ein Samier,
haite sie nach der reichen Handelsstadt Naulratis сеть, die
im agyptischen Niederlande nicht gar fern vom Ufer des Mee-
res lag. Dort sah sie Charaxos aus Mitylene, der Bruder der
Liederdichterin Sappho, als er lesbischen Wein nach Naukratis
zum Verkauf brachte; von ihrer wundervollen Schénheit ge-
rihrt, zahlte er hohen Preis, ihr die Freiheit zu erkaufen.
Dann habe Rhodopis, wie Einige sagen, so viel Schatze er-
worben, dass sie sich davon die Pyramide erbaut; oder es that
sich, wie von Andern gesagt wird, eine Anzahl yon den Land-
pilegern Aegyptens zusammen, ihr zum Gedachiniss auf gemein-
same Kosten das Werk zu errichten.

Wieder Andre wissen Anmuthigeres zu erzahlen. Rhodo-
pis badete unter der blihenden Hibiscuslaube, als ein Adler
geflogen kam und der Dienerin, die ihren Schmuck bewachte,
eine ihrer késtlichen Sandalen raubte. Er flog damit weit hin-
aufwarts tiber das agyptische Land. Zu Memphis, in der alten
Kénigstadt, sass der Konig, rechtsprechend unter freiem Him-
mel; ihm warf der Adler hoch aus der Luft die Sandale in den
Schooss. Das diinkte den Konig ein Gotterzeichen, und die