als Ziel vorschweben wurde, andrerseits bemiht sein, Wesen,
Absicht und Inhalt des Gebaudes, um dessen nackten Gliederbau
sie ihr farbenschimmerndes Gewand schlégt, méglichst ersché-
pfend und treffend auszusprechen.

Dieser Kunstforderung gentigt in geradezu uniibertrefflicher
Weise das Bild von Delaroche. Es schmiickt in friesartiger
Weise die Halbrotunde der Pariser Kunstschule, den Saal, in
welchem die feierliche Preisvertheilung staltfindet. Konnte fiir
diesen, den bildenden Kinsten geweihten Ort etwas Sinnigeres
erdacht werden, als die Darstellung jener Heroen der Vergan-
genheit, deren Gestalten gleichsam die Incarnation der Kiinste
enthalien? die allen nachgebornen Geschlechtern als leuchtende
Vorbilder vor Augen stehn werden, so lange die Pflege der
Kunst zu den héchsten Interessen der Menschheit gehéren wird?

Die freudige Anerkennung aber, welche die Wahl des
Stoffes verdient, wird zur Bewunderung, sobald man sich in
die Art der Durchfihrung betrachtend versenkt. Gehen wir
etwas in’s Hinzelne.

Die Mitte des Bildes lasst uns in eine marmorne Halbro-
tunde blicken, ahnlich jenen Apsiden der alten Basiliken, in
welchen der Sitz des Presbyteriums war. Ganz so thronen auch
hier auf einer um vier Stufen erhéhten Bank drei Gestalten,
welche man die Presbyter der Kunst nennen kénnte: Iktinos,
Apelles, Phidias. Sind sie doch die vornehmsten Vertreter
hellenischen Kunstgeistes, jenes Geistes, der so voll und mach-
tig das Naturgemiisse, rein Menschliche in ideale Schépfungen
ausgepragt hat, dass jede Folgezeit, so oft sie von Entartung
und Siechthum zur Wahrheit, zu neuem gesundem Leben zu-
riickkehren will, von ihm Lehre und Beispiel holen muss. Mit
Recht gebiihrt ihnen also dieser Platz. Wie sie indess unter
einander geordnet sind, dagegen lasst sich Mancherlei einwen~
den. Dem Reprasentanten seiner Kunst hat der Maler die
Auszeichnung des mittleren Sitzes gewdhrt. Dass er so zu
sagen seinen cignen Schutzpatron also bevorzugte, erscheint
menschlich liebenswiirdig. Aber sollte auf das Wesen griechi-
scher Kunst Riicksicht genommen werden, so gebthrte eher
dem Bildhauer der Ehrenplaiz, da der Geist hellenischen Schaf-
fens ein plastischer war; noch richliger aber musste der Ar-
chitekt die Mitte behauplen, zu beiden Seiten vom Maler und
Bildhauer begleitet, wie an seine Kunst die Schwesterktinste
sich schmiickend anlehnten. Oder wollte vielleicht der Maler
einen tieferen Bezug auf die Zukunft andeuten? Sollte Apelles
gleichsam prophetisch die erst im christlichen Zeitalter er-
folgte Bliithenepoche seiner Kunst, den Oberrang, den sie in
ihrer edelsten Entfaltung tiber die beiden anderen behauptete,
den sie auch in der vorliegenden Darstellung iiber dieselben
	einnimmt, symbolisiren? Traumerisch genug silzi er da, wie.
	verehrend in weile Ferne schauend mit seinem Napoleonskopf,
von dem man uns sagt, dass er Delaroche ahnlich sehe, wah-
rend Phidias mit stumpfen, abgelebten Ziigen ausdruckslos vor
sich hinstarrt, und Iktinos gar das Bild hinfalligen, zusammen-
gebrochenen Greisenalters ist. Diese Auffassung sammt der
ganzen Bildung der drei Képfe widerstrebt mir um so ent-
schiedener, je grésser die Unschénheit derselben mit der gei-
stigen und kérperlichen Herrlichkeit des Volkes contrastirt, des-
sen Kunst in ihnen die erhabensten Vertreter preist. Wohl
mochte dem Maler die Absicht vorschweben, sie gleichsam als
entkérperte Bewohner der Schattenwelt, als die Minos, Rhada-~
manthos und Aeakos der bildenden Kunst darzustellen: bei
alledem aber hatten sie zundchst und zumeist den Adel helle-
nischer Formschénheit im nackten Gliederbau, die Hoheit hel-
lenischen Geistes an der Stirn tragen miissen.

Auf den Stufen, die zu jener Dreiheit hinauffihren, ge-
wahrt man jederseits zwei weibliche Figuren, an die Treppen-
	wangen gelehnt. Die innere von beiden, rechts im Bilde,
eine ernste Jungfrau. mit edlem griechischem Profil, das schwarze
Haar schmucklos aufgebunden, stellt die griechische Kunst dar.
Doch ist etwas Diister-Strenges in ihren Ziigen, dem ich einen
Anflug jener geistvollen Heiterkeit und Klarheit gewiinscht hatte,
die wir als Erbtheil hellenischen Wesens kennen. Uniibertreff-
lich driickt dagegen ihre Nachbarin, die schmachtige, mit dem
Aufblick des blauen Auges hinaufschmachtende, vom goldnen
Lockenhaar umflossene Jungfrau den Charakter gothischer Kunst~
weise aus. Die ganze erdvergessene Himmelstrunkenheit jener
Kunst, die Verklarung ihrer Gestalten, die Mystik ihrer Dome
lesen wir in dieser Figur, die ein Portrait von der Gatlin des
Kiinstlers sein soll. Neben ihr auf der Treppenwange steht das
Modell einer gothischen Kirche. Das Gegeniiber der griechi-
schen Kunst Dildet die rémische, eine diademgeschmiickte
Frauengestalt, in deren feinen, etwas gekniffenen Lippen man
die mehr berechnende Art des praktischen Roémers zu lesen
glaubt, mit der er, was der Kunstgeist andrer Vélker geschaf-
fen, sich zu eigen zu machen wusste. Neben dieser Figur,
nach vorne zu, lehnt mit herausfordernder Lissigkeit ein tip-
piges, reich geschmiicktes Weib sich auf dic Treppenwangen,
die nur halb verhiillten Formen des lebengliihenden Korpers
dem Beschauer zuwendend, wahrend das sinnlich blickende Ge-
sicht nach den drei antiken Meistern hinschaut. In dieser Stel-
lung sind auf feine Weise Wesen und Verhiltnisse der Renais-
sance bezeichnet, die den Ausdruck ihrer reichen mehr sinn-
lichen Lust am Dasein in den der antiken Kunst entlehnten For-
men auszusprechen suchte.

Zu dieser allegorischen Mittelgruppe gehért endlich, die-
selbe nach vorn abschliessend, noch eine weibliche Gestalt, die
vermége der lebhaften Bewegung des halbnackten braunen Kor-
pers uns als eine hithsche Indianerin oder Creolin erscheinen
wiirde, wenn nicht die Lorbeerkranze, bei denen sie am Boden
kniet, und deren einen sie eben Jemandem zuwerfen zu wollen
scheint, uns stulzig machten und zum Lesen der Unterschrift
veranlassten. Da steht’s denn deutlich geschrieben, dass dies
der ,Genius der Kinste* bedeuten soll. Dartiber lasst sich
nun nicht rechten, wie sich Jemand diesen , Genius* vorzu-
stellen habe. Erscheint er doch nicht blos jedem Zeitalter und
jedem Volke, sondern sogar jedem Individuum in verschiedner
Gestalt, wie gerade jedem Volke, jeder Zeit, jedem Einzelnen
bei der grossen , Theilung der Arbeit“, die nach Schnaase’s
treffender Bemerkung auch in der Kunsigeschichte offenbar wird,
eine bestimmte Seite der Kunstiibung zugefallen ist. Da ist
also nicht von der Alleinberechtigung einer einzelnen zu reden.
Genug, wenn Jeder den Genius seiner Kunst nur richtig er-
kennt. Franzésisch ist dieser knieende, wild muthwillige, Kranze
schleudernde Genius ganz gewiss. —

An die halbrunde Tribiine lehnen sich nun zu beiden Seiten,
von je vier ionischen Saulen getragen, Marmorhallen, vor wel-
chen sich, auf Ruhebanken sitzend oder vor denselben stehend,
eine Notabein- Versammlung von 67 Kiinsllern ausbreitet. An
den beiden aussersten Seiten des Bildes haben sie jedoch den
blauen Himmel als Hintergrund. Wird durch diese Disposition
der Raumlichkeit ein angenehmer Wechsel herbeigefihrt, so
erhalten die grésstentheils sitzenden Gruppen dadurch, dass in
gewissen, ungefahr gleichen Zwischenraumen einzelne der her-
vorragenden Meister stehend angebracht sind, zugleich eine
Bhythmik, die, ohne dem Auge sich aufzudrangen, dasselbe
wohlthuend berihrt. Lasst man nun obenhin den Blick tiber
das gesammte Bild schweifen, so tbt die malerische Schénheit,
die fein nijancirte Mannichfaltigkeit, die wie von selbst ent-
slandene Harmonie der Gruppen einen holden Zauber auf uns
	aus. Zugleich scheinen alle Gestalten, der schweren Erd- At-
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