anzeigt. Indess hat die Harmonie des Ganzen noch nicht dar-
unter gelitten, und diese Eigenschaft des Werkes bleibt um so
mehr anzuerkennen, je mehr namentlich in der Farbe der Styl-
charakter jedes Meisters zum Ausdruck gekommen ist. Es stellt
sich dadurch auf malerischem Gebiete dieselbe Erscheinung dar,
welche etwa im Finale einer Mozart’schen Oper wahrgenommen
wird, wo die Charaktere des Dramas sich zusammenfinden, Je-
der in seinem besondern Wesen zur musikalischen Individua-
lisirung gelangt, und gleichwohl aus diesen mannichfalligsten
	Elementen ein einheitlich harmonisches Ganzes sich aufbaut.
W, Lubke.
	Die Schlussgruppe aus dem Arabesken-Fries Kaulbach s
im neuen Museum zu Berlin.
	(Hierzu ein Kupferstich.)
	chitektur rastlos aufzusteigen und sich vom Umgebenden gleich-
sam zu isoliren, es vorziehen, in vornehmer Majestét aus einer
Gruppe gleichgearteler geringerer Schépfungen als die Ersten
hervorzuragen.

Unter den Malern, die nun folgen, zeigt sich zundchst
Fiesole. Er vertritt die an dieser Seite dargestellte Richtung,
die im geistigen Gehalt der Composition und der Zeichnung ih-
ren Schwerpunkt besitzt, in ahnlicher Pragnanz, wie das gegen-
uber bei den Koloristen durch Giorgione geschah. So leitet er
wiirdig die Schlussgruppe ein, die an Schénheit und innerer
Bedeutung vielleicht die gelungenste des Bildes ist. Am dus-
sersten Ende der Ruhebank hat Lionardo da Vinci Platz
genommen. Zu ihm schreitet von der Seite ein in die zarte-
sten, lichtesten Stoffe firstlich gekleideter Jiingling von ad-
ligem Anstand, den der Hauch liebenswirdiger Bescheidenheit
noch erhéht, Domenichino beugt sich zu Lionardo nieder
und flistert, auf die jugendliche Lichtgestalt deutend, ihm einige
Worte in’s Ohr. Nun hat der greise Meister seinen machtigen
Kopf, von dem der lange Bart gleich der Mahne eines Lowen
niederwallt, dem Nahenden zugewendet und seine Handbewe-
gung scheint zu fragen: ,,Das ist Er? Das Raphael?“ Wer
anders als der gottliche Urbinate kénnte es sein, der so ké-
niglich.und doch so anspruchslos heranschreitet, tiber dessen
Gestalt jene ewige Jugend ausgegossen scheint, die in seinen
Werken lebt? Nur scheint mir freilich der Ausdruck des Pro-
fils bei Weitem nicht Das zu erschépfen, was in Raphaels We-
sen liegt.

Um ihn gruppiren sich die Kinstler, die in der histori-
schen Entwicklung auf den Stufen Platz finden, welche zu je-
nem Gipfel hinauf- und von ihm hinunterfihren. Giotto’s scharf
ausgepragte Ziige, Masaccio’s, des entschlossenen Bahnbre-
chers, jugendliches Antlitz, Orcagna’s ernste Grossheit, in
welcher der ,Triumphzug des Todes* sich zu gestalten scheint,
erblickt man hier dicht gedriéngt, —- und nahe bei seinem gros-
sen Schiiler, von dem ein Lichtglanz auf ihn zuriickfallt, steht
der wackre Perugino. Seilwdris im Hintergrunde, leider et-
was zu flau, wie mich dinkt, aufgefasst, bezeichnet Diirer’s
Stellung jene tiefe Sehnsucht, die den trefflichen deutschen
Meister nach Italien hinzog, und zugleich das feindliche Ge-
schick, welches ihn nicht bis dahin vordringen liess, wo sein
Wesen am Gleichgearteten der gréssten Zeitgenossen Das hatte
finden kénnen, was ihm zur Vollendung fehite. Dicht bei ihm
erkennen wir auch noch einen andern deutschen Kunstgenos-
sen, der zu ihm aufblickend sich hinwendet: Hans Holbein.

Dagegen hat ein Andrer sich von den Uebrigen unwillig
gesondert und verharrt vorn einsam sitzend wie ein grollender
Titan, Es ist der tbergewalltige Michelangelo. Noch Andre
folgen, darunter der liebenswiirdige Andrea del Sarto; fer-
ner Sebastian del Piombo, Michelangelo’s rechte Hand; der
iibermiithige Freund und Schiller Raphaels, Giulio Romano,
und mehrere der Zeitgenossen. Die ausdrucksvolle Gestalt Ni-
colaus Poussin’s schliesst die Reihe. г

Ich habe-nur das Hervorragendste und auch da nur Ein-
zelnes flichtig andeuten kénnen. Die Menge feiner, geistvoller
Beziige ist mit dem Worte schwerlich wiederzugeben, da selbst
das Auge oft wiederholten Schauens bedarf, um nur allmahlich
einzudringen. Bei aller Tiefe und Rundung der Charakteristik,
bei der schlagenden Schiarfe und Pragnanz der Individualisirung
bleibt noch am Meisten zu bewundern, mit wie geringen Mit-
teln der Maler hausgehalten hat. Der Farbenaufirag ist unge-
mein leicht und dinn und lasst die sichre Meisterhand erkennen,
die sogleich das Bezeichnende zu treffen wusste. Nur sind leider
manche lasirende Téne haufig angewandt worden, die ein Nach-
dunkein befiirchten lassen, welches theilweise schon jelzt sich
	Wir haben unsern Lesern yor Kurzem bei Gelegenheit der
Beschreibung der jiingsten Museumsarbeiten Kaulbach’s von dem
letzten Stick Fries eine Abbildung versprochen. Hier ist sie;
— von der gediegenen Hand unseres Ed. Eichens vortreff-
lich und meisterhaft wiedergegeben, wie dieser iberhaupt fir
die Duncker’sche Ausgabe der Uebersetzer des Arabeskenmar-
chens geworden ist, womit der Kinstler seine wellhistorischen
Tafeln gekrént hat. Wir erlauben uns wegen des Zusammenhangs
der heute gegebenen Gruppe mit dem Ganzen auf 8. 277 zu ver-
weisen und wollen nur noch Folgendes hinzufiigen:

Der Umstand, dass Restauration der Wissenschaflen und
Blithe der Kiinste die schénen Zeichen der neuen Zeit sind,
passte vortrefflich damit zusammen, dass das letzte Friestheil
das Thirstiick zu bekrénen hatte, welches die Gestalten der
Kunst aufzunehmen bestimmt ist. Wie einen Grenzpfahl also
pflanzte der Kiinstler hier zunachst einen Phénix auf, der mit
dem Kopfe sich der neuen Zeit zuwendet. Und dann setzt er
ein zu einem schwungvollen Schlusssatz, wie in der Cmoll~
Symphonie, die Wissenschaften verherrlichend, die Kunst aber °
am meisten. Nach ihrer héchsten Spitze, nach der dramati-
schen Poesie hat er gegriffen und ihren Vertreter auf den
Thron gesetzt und ihm sein unsterbliches Werk, unser Natio-
naldrama, in die Hand gegeben. Himmel und Hille stehn ihm
zur Seite, jedes in seiner Weise ihm dienend. Und wahrend
sich ferner an der einen Seite der ganze Kosmos vor ihin aus-
breitet zum Zeichen, dass er zwar den Himmel und die Hille
beriihrt, auf der Erde aber zumeist heimisch ist und das Irdi-
sche und Menschliche zumeist zeigen soll im gittlichen Gewande
der Kunst, wahrend ihm so auf der einen Seite Inhalt und
Stoff zugetragen wird, zeigt sich auf der andern das Reich
des edelsten und geistigsten Materials kiinstlerischer Dar-
stellung, das Reich der Sprache, damit er hineintauche und zum
Ausdruck kommen lasse, was ihn bewegt und uns bewegen soll.
Es lassen sich die weitausgreifendsten und tiefeingehende Ge-
danken und Betrachtungen an dieses Stick Fries kniipfen. Moge
sie Jeder ausspinnen in der Weise, wie ihm der Faden dazu
aus dem Bilde entgegenspringt. Uns steht am héchsten die
kinsterisch vollendete Abrundung der Gruppe, in der die vor-
zugsweise so genannten bildenden Kiinste, durch die zeich-
nende vertreten, in Gedanken die Dichtkunst und damit
alle iibrigen Kiinste verherrlichen und in der Ausfiihrung und
Anordnung die architektonischen Grundgesetze der Sym-
metrie und Eurhythmie und das musikalische Gesctz der
	Harmonie so cinzig wohlthuend mitwirken und mitklingen lassen.
F. E.