zur volligen Zersetzung miltelalterlichen Lebens, wahrend-wel-
cher im Gewande entschieden reformatorischer Bestrebungen
dié neue Zeit ihren Einzug halt, Auf dem vorigen Blatte sa-
hen wir Huss als Martyrer fir seine Ueberzeugung in den Tod
gehen; auf diesem Blatte zeigt uns eine kleine Darstellung im
oberen Bogenfelde links die aus der Asche jenes Scheiterhau-
fens hervorlodernden Hussitenkriege, die in so grausiger Weise
Deutschland zerfleischten. Aber auch jetzt noch, wo so Vieles
zerfiel, wurden Keime neuer Entwickelungen gelegt. Das be-
kundet das benachbarte Bildchen, auf welchem Burggraf Fried-
rich VI von Zollern mit Brandenburg und der Kurwitirde belehnt
und also der Grund jenes Staates gelegt wird, der als miachti-
ger Hort der neuen Entwickelung, des protestantischen Princips
erstehen sollte. Doch treibt der morsche Baum miltelalierlichen
Lebens auch jetzt noch manches griine Blatt und selbst so edel-
stolzen Zweig, wie den ritterlichen Maximilian, den wir unten
in glénzendem Turnier erblicken. Wie wenig Boden aber solche
Reminiscenzen an das veraltete Ritterthum fortan haben, beweist
auf dem unteren Mittelbilde derselbe Kaiser eigenhandig, indem
er das Reichskammergericht einsetzt. Auch haben alle die aus-
drucksvollen Képfe, die man hier um ihn geschaart sieht, schon
jenen mehr geistigen, intelligenten Ausdruck, der sehr gegen
den mehr von Energie und thatkraftigem Charakter zeugenden
der Gesichter friiherer Zeit absticht. Seitwarts sehen wir die
béhmischen und miahrischen Briider unter freiem Himmel in
‘Ausibung ihrer auf urspriingliche Einfachheit zuriickgefihrten,
religidsen- Handlungen begriffen. Die ganze Breite der oberen
Bildfliche nimmt Luthers Auftreten gegen die versunkene Hie-
rarchie in Anspruch, Von der Linken zur Rechten zieht sich
die Darstellung; zuerst sieht man Tetzel’s empérenden Ablass-
kram, dicht dabei schlagt Luther in heiligem Zorn seine The-
ses an, und gleich darauf bezeichnet schon die Verbrennung
der pipstlichen Bulle den entscheidenden Schritt, der die Tren-
nung von Rom fiir immer bedingte. Die grosse Mitteldarstel-
lung fibrt uns denn mitten in die feierliche Versammlung des
Reichstages zu Worms; dort auf erhéhtem Throne Karl V, um
ihn die Grossen, die Bischéfe und Fiirsten; und vorn der schlichte
Ménch von Wittenberg, wie er die denkwirdigen Worle aus-
sprieht: ,,Hier stehe ich; ich kann nicht anders; Gott helfe mir;
Amen.“ Endlich rechls der Einzug Karls des Finften in Augs-
burg, um dem Zustandekommen der Augsburgischen Confession
beizuwohnen. In kleineren Darstellungen, die sich etwas wun-
derlich durch fensterartige Oeffnungen darbieten, sind verschie~
dene untergeordnete Beziehungen des Reformators angedeutet.
Der Stich dieses Blattes war dem Stuttgarter Derlinger an-
vertraut.

Wir haben nun dic Grauel des dreissigjahrigen Krieges zu
iberspringen und finden uns auf dem dreizehnten Blatte
bei Leopold dem Zweiten wieder. Das Blatt zeichnet sich durch
eine glickliche Gesammt-Composilion aus, namentlich sind die
Mitteldarstellungen in einer hochst wirksamen Art pyramidal
aufgegipfelt. Ein Eckbildchen zeigt in Ludwig XIV den Gegen-
satz, den damals die absolutistische Politik des centralisirten
Frankreichs gegen das immer mehr in einzelne selbstandige
Staaten sich zertheilende Deutschland darstellte, und es fehlt
auch nicht an Hindeutungen, wie der herrschstichtige Ludwig
sich die Uneinigkeit Deutschlands zu nulze zu machen wusste.
Nur ein Land vermochte unter einem nicht minder grossen Fir-
sien sich dem allgemeinen Verfalle zu entreissen und cine hohe
Stufe der Macht und Blithe zu erklimmen. Das war Branden-
burg unter seinem grossen Kurfiirsten. Auf dem unteren Sei-
tenbilde links sind wir in die ruhmwiirdige Schlacht von Fehr-
bellin versetzt und wohnen eben der wilden Auflésung des
	schwedischen Heeres bei. Eme ganz andere Schlacht aber,
	Tdunstliteratur.
Die Geschichte des deutschen Volkes in finf-
	orossen Bildern, dargestellt von Kart Heinrich

zehn р
Hermann aus Dresden. Mit erliuterndem Text von Dr.

R. Foss, nebst Vorwort von Dr. Л. За. 1.— Ш. Lief:
(9 Tafeln.) Gotha, Justus Perthes. 1852.
	(Schluss. )
	Auf dem zehnten Blatte bietet sich uns die lange Pe-
riode dar, welche vom Interregnum an bis gegen die Refor-
mationszeit hin wahrte; eine Epoche, in welcher Alles in Auf-
lésung begriffen erscheint, was frither friedlich zusammenhiellt.
Doch keimen zugleich auch neue Triebe am Baume deutschen
Lebens hervor. So sehen wir oben links in der Ecke die Griin-
dung Thorns durch Hermann von Salza; denn seitdem die Be-
geisterung fiir die Bekimpfung der Unglaubigen des Orients
nachgelassen hatte, fand die fromme Thatkraft ein naheres Ziel
in der Unterwerfung und Christianisirung des deutschen Nord-
ostens. Noch einmal aber fallt in all’ die Verwirrung des Rei-
ches der Blitzstrahl eines machtigen Herrscherwillens. Rudolf
von Habsburg gelangt zur Kaiserkrone, und gleich erblicken
wir zahlreiche Spuren seiner segensreichen Thatigkeit. Die
Mitteldarstellung zeigt ihn streng und gerecht in Bestrafung rit-
terlicher Rauber und Wegelagerer, von deren schlimmem Trei-
ben mehrere Seitenscenen Zeugniss ablegen. Aber auf dem
folgenden Bilde, rechts zur Seite, werden uns bereits die Zer-
wirfnisse wieder vorgefiihrt, die unter dem unseligen Doppel-
kaiserthum ИБег das Reich hereinbrechen. Es ist die Schlacht
bei Géllheim dargestellt, in welcher Adolf von Nassau gegen
Albrecht von Oestreich Feld und Leben liess. Im Hintergrunde
sehen wir die Begriindung des Schweizerbundes, dessen ruhm-
reiche Folgen uns an andrer Stelle durch die Gestalt des wak-
‘-keren Winkelried in’s Gedachtniss gerufen wird. Ueberall
Merkzeichen einer Zeit, die ein krafliges Hervorheben des Rei-
ches und seiner Einheit nicht mehr aufkommen lasst vor allen
den Einzelbestrebungen, mit welchen jeder First das Interesse
seines Hauses ausschliesslich verfolgte. Zwar sehen wir auch
Heinrich den Siebenten, den Liitzelburger, nochmals auf einem
Rémerzuge, allein trotz Dante’s eindringlichen Vorstellungen
ist die Zeit eines gewalligen, rémischen Kaiserthumes fir im-
mer dahin. Ein Lichtpunkt ist auch hier noch — man sieht
die Scene links unten im Bilde —- die Verséhnung der hadern-
den Gegner, Ludwig des Bayern und Friedrich des Schénen.
Aber wie weit schon die Schmach des Reiches gediehen, be-
weist gleich nebenan die Nothwendigkeit jenes Kurfiirstenbun-
des zu Rense, auf welchem sechs der Grosswtrdentrager des
Reiches. sich zu gemeinsamem Handeln gegen fremdlandische
Einwirkung verpflichten. Das grosse Mittelbild zeigt in der
Krénung Karls des Vierten die Erhebung der firstlichen Haus-
politik auf den Thron, welchen nur cine Reichspolitik inne ha-
ben sollte. Dazwischen schlingen sich die distren Scenen, die
das Grassiren des schwarzen Todes, das wahnwilzige Gebahren
der Geisselbriider und die grausamen Judenverfolgungen mit
sich fihrten. Den letzten Punkt dieses Bildes nimmt das Con-
cil zu Constanz ein; die Reformation der Kirche bleibt ein
frommer Wunsch; Papst Martin V. zieht unverrichteter Sache
von dannen; nur dort in der letzten Scene kihit sich im Flam-
mentode des Johannes Huss die fanatische Verfolgungssucht
und bricht somit die Briicken zu einer alfumfassenden friedli~
chen Neugestaliung ab. Der Stich dieses Blattes ist unter Tha-
ter’s Leitung von Ufer ausgefihrt.

Die beginnende Auflésung wird nun aufdem elften Blatte