A118 Was kommst du zu uns, wenn du von ihr nicht weisst? Doch sei es! Hore! Der Schlangenkénig hat hier am weissen Flusse gewohnt, — aber von dem wirst du auch nicht wissen. Er hatte den Leib eines Menschen, und seine Fiisse waren Schlangen. Was lachelst du? Mein Vater, der draussen in der Welt gewesen ist, hat ihn selbst gesehen, auf Steinen abge- bildet, und Andre waren dabei, die ihn mit Lanzen und Keulen und gar mit Blitzen bekaimpften. Er ist wahrlich machlig ge- wesen, dass sie Alle sich so furchtbar gegen ihn bewaffnen mussten. Die Schlangen waren seine Diener. Aber sein Herz war traurig, denn er war allein und hatte kein Weib. Da er- zahlte ihm eine Schlange von der Kénigin des Honigs, die in dem Walde herrschte, durch den du gereiset bist, die dort in den Felsgrolten wohnte und der die Bienen dienten; sie war schén wie keine Andre auf der Welt. Da wollte er sie zum Weibe haben und sandte seine Diener zu ihr, um sie zu wer- ben; sie aber hatte einen Widerwillen gegen den Schlangen- fiissler, und weil sie meinte, dass sie durch das Sumpfland vor ihm geschiitzt sei, gab sie ihnen eine krinkende Antwort. Da ergrimmte der Kénig und baute durch das Sumpfland die lange Briicke, und stiirmte dariiber hinaus mit seinem Volk und bemachligte sich der Kénigin des Honigs mit Gewalt. Sie wurde nun seine Kénigin; aber ihr Herz war voll Grames, dass sie von ihren getreuen Bienen getrennt war, und nach einem Jahre, als sie dem Kénige eine Tochter geboren hatte, starb sie. Der Konig war untréstlich tber ihren Tod. Aber seine Tochler wuchs heran, noch viel, viel schéner als die Mutter gewesen war, und in ihrem Anblick fand er endlich wieder Trost. Sie wurde Bal-Kis genannt, die Tochter des Honigs. Und dass sie ihm nimmer zirnen méchte ob des Geschickes der Maller, gab er ihr das Erbe zuriick, das ihr von der Mutter zukam, das Kénigreich der Bienen, und baute ihr dies Schloss, ihr Reich von hier aus zu beherrschen. Und was ist hernach aus der Tochter des Honigs geworden? Was aus ihr geworden ist? wer fragt danach! Schau hin: sie blickt all Tage nieder auf ihr Schloss, und alle Tage brin- gen die Bienen ihr ihren Gruss. Und das Schloss ist stehen geblieben, wahrend die iibrigen Palaste des Ortes zusammen- gefallen sind, uud wir wohnen hier, und die schéne Tochter des Honigs blickt auch auf uns, wenn wir zu ihr emporschauen! Der Bursch schweigt, und der Wandrer bereitet sich, kunsigerechte Risse von dem merkwirdigen Gebaude anzufer- tigen. Die neue Pinakothek in Miinchen. Yon Br. Erast Forster, Die neve Pinakothek in Miinchen zwischen der Barrer-, Ar- cis~ und Theresienstrasse, durch letztere geschieden yon der alten Pinakothek, mit welcher sie in paralleler Richtung steht, ist im Auflrag des Kénigs Ludwig und aus dessen Privatmitteln von dem k. Oberbaurath Voit erbaut worden. Der Bau be- gann im Spatherbst 1846, und obwohl er gegenwartig noch nicht als ganz vollendet zu betrachten ist, da sowohl in den Riumen des Erdgeschosses als an der Aussenseite in Norden und Westen noch gearbeitet wird, so ist doch die Gemilde- sammlung in dem oberen Stockwerk aufgestellt und seit dem 25. Oct. d. J. zuganglich, die neue Pinakothek mithin erdffnet. Die Wirkung, die das Ganze auf das Publikum gemacht, kénnte nicht wohl giinstiger sein und sprach sich unverholen und ener- gisch in der allgemeinen Theilnahme an dem von den Minch- ner Kiinstlern dem Kénig Ludwig veranstalteten Dank-Fackel- zug am 29. Oct. aus. Jedenfalls ist die Eréffnung dieser An- stalf ein bedeutender Moment in der Geschichte des Munchner Kunstlebens und fordert zu einer eignen Besprechung in diesen Blattern auf. Vergegenwartigen wir uns zuerst Zweck und Bestimmung des Gebaudes, so erkennen wir darin die (iur Deutschland wemnigstens) ganz neue Aufgabe, der Malerei unsers Jahrhunderts eine Sammel- ие zu bereiten gleich denen, darin die Schitze dlterer Ma- lerschulen vereinigt sind. Die Galerien der letztern Art sind grossentheils entstanden dadurch, dass man Gemilde, die eine ganz andere urspriingliche Bestimmung hatten, entweder dieser Bestimmung entzog, oder wenn sie ihr bereits entzogen waren, vor dem Verschwinden im Privatleben oder ver ganzlichem Un- tergang sicher stellen wollte und sie dem Offentlichen Leben zuganglich erhielt. Ungewollt wurden sie Quellen fir die Kunstgeschichte und in dieser Eigenschaft, vornehmlich neuer Zeit, so hoch geachtet, dass man fast tiberall die in ihnen ent- haltenen Werke als Zeugnisse einer ganz besondern, unter sich verschiedenen Kunstthatigkeit nach Schulen, d.h. nach histori- schen Motiven ordnete. Bei der Anlage der neuen Pinakothek in Miinchen konnte eigentlich nur das letzigenannte Motiv in Frage kommen, indem es galt, von der Kunstthatigkeit einer bestimmten, nimlich der neuesten Zeit, anschauliche Beweis- stiicke aufzustellen. Da bei den 6ffentlichen Werken, nament- lich den Frescomalereien, immer nur wenige Kinsler ihr Ta- lent zu zeigen Gelegenheit haben, da die Kirche weniger als ehedem ihre Krafte in Anspruch nimmt, da ein grosser Theil von ihnen an den bestehenden éffentlichen Anstalten kaum eine Stelle ftir sich finden wirde, so erhdlt eine neue Pinakothek eine hohe praktische Bedeutung fiir die lebende Kunst; indem sie Zeugniss ablegen soll von ihr, muss es den Jiingern und Meistern derselben daran gelegen sein, zur Zeugenschaft berufen zu werden; sie ist ein wirksames Beférderungsmiltel der Kunst, aber eben darum auch ein mahnendes Beispiel fiir An- dere, fiir Fiirsten und Stidte, in gleicher Weise der gegenwartigen Kunst Ehrenbahnen zu eréffnen und ihrer Geschichte redende Denkmale zu sammeln. Haben wir uns so mit dem Gedanken und der Anlage der Sammlung befreundet, so dirfen wir auch den ersten Schritt der Ausfihrung nicht unbeachtet lassen, wenn er auch nicht fir jeden Wiederholungsfall maassgebend sein kann: namlich den Entschluss, diese Galerie nicht in einem vorhandenen Ge- baude unterzubringen, sondern ihr ein ecignes, nur ihr gewid~ metes Haus aufzufihren und so die erste und wichtigste aller Kiinste, die Baukunst, an der Ausfiihrung der Idee thatigen Antheil nehmen zu lassen. Betrachten wir nun, wie ihre Aufgabe aufgefasst und gelést hat, so wird es uns nicht leicht gemacht, den von dem Architekten unfehlbar beabsich- tigten Standpunkt zu finden, die Stelle, wo Sinne, Gemiith und Verstand ergriffen und wenigstens theilweis befriedigt werden. Mit einer fast beispiellosen Resignation hat er auf alle archi- teklonischen Mittel verzichtet, durch welche ein Bauwerk von aussen imponirt, auf Massen und ihre Gegensitze, auf eine Gesammisilhouette, wie auf Profilirungen im Einzelnen. Da sind keine Gliederungen und schattengebende Vorspriinge; die Fenster haben keine Umrahmungen und Verdachungen; nur die schmale Vorderseite gewahrt durch eine kleine offne Vorhalle einige Abwechslung und eine rings um das Gebaude laufende Mauerkrone mit feingeformten Blumen und ein wenig Polychro- mie verlritt mit einigen Pfeilercapitalen der Vorhalle das Ele-