worden; ein mehr cullur- als kunslgeschichtlich beachlenswer-
ther Umstand; denn weder in Auffassung und Anordnung, noch
in der Ausfiithrung hat sich Hess von dem ihm eignen, strengen
Kirchenstyle entfernt. Maria sitzt mit dem segnenden Christus-
kind auf einem Thron, tiber welchem Engel schweben. Die
vier Kirchenvater, als Reprasentanten der Kirche, umgeben den
Thron, und weiter nach vorn knien die vier Patrone der von
Kénig Ludwig in Minchen erbauten katholischen Kirchen, der
h. Bonifacius mit dem Modell der ihm geheiligten Kirche, der
h. Ludwig in gleicher Weise und St. Stephan mit dem Modell
der Allerheiligen-Hofcapelle; das Modell der Mariahilf-Kirche
in der Au wird zu Fiissen der Maria von einem Engel gehalten.
Zeichnung und Charakteristik dieses (14 Fuss hohen, 10 Fuss
breiten) Gemaldes sind von grosser Feinheit, und eine edle
Ruhe liegt iber dem Ganzen, selbst in den bescheidenen, unter
sich sanft verbundenen Farben. Aber — in einem kleineren
Raum bei eingeschrankterem Lichte gemalt — verliert es in
seiner jetzigen Aufstellung vielleicht selbst durch das Oberlicht
etwas an sinnlicher Wirkung, so dass die Formen nicht deut-
lich genug mehr hervortreten.

In diesem Saale ist nur noch cine sehr grosse Landschaft
von Dorner mit Vieh von Wagenbauer. (Schluss folgt)
	Farbige Statuen.
	In demselben Saal befindet sich die Grablegung Christi von
A. Fischer, einem Kinstler, der unter dem Einfluss von H.
	Hess sich entwickelt hat. Ohne besondere Eigenthtmlichkeit
in Auffassung und Darstellung macht das sehr grosse Bild durch
die darin herrschende edle Ruhe, durch die tiefe harmonische
Farbung und gleichmassige ernste Durchfiihrung eine sehr gute
Wirkung. Noch finden sich hier Architekturbilder von Ver-
meersch, Aug. v. Bayer, Boosboom (aus Amsterdam),
Ainmitller (zwei Ansichten aus der Westminster- Abtei),
Kirchner, und ein lebensgrosses Genrebild von dem Belgier
Navez. Man sieht, es ist eine Scheidung weder nach Kunst-
galtungen, noch nach Schulen beabsichtigt, und somit dem ur-
spriinglichen, historischen Beweggrund des Gebaudes cine ins
Einzelne fortgesetzte Folgerung nicht gegeben, was ohnehin bei
der auf etwa dreihundert Bilder beschrankten Sammlung durch
dusserliche Hindernisse erschwert gewesen wire.

Der dritte Saal der Milte, verbunden durch einen hohen
Bogen mit dem dritten Saal der Stidseite, ist vorzugsweis den
Werken Kaulbachs gewidmet. In letzterem sind die in Oel
gemalien Skizzen zu den Freskobildern der Aussenseite auf-
geslellt, ein gules Zeugniss fiir letztere, die sich namentlich im
Ton sehr genau an die Entwiirfe gehalten haben, Beildufig!
nach meiner Ueberzeugung nicht ‘zum Vortheil der Bilder und
ihrer Wirkung. Es ist ein [rrthum, in welchen das Verlangen
nach malerischem Effekt unsre Kiinstler immer von Neuvem fihrt,
den Freskogemalden den Ton von Oelbildern zu geben. Abge-
sehen, dass die tiefen Localfarben: dunkelroth, braun, schwarz,
blauschwarz, schwarzgriin uv. s. w., wie sie hier angewendet
sind, in Fresko sehr schnell wachsen und dunkle Massen ohne
Formenunterschiede werden, ist der tiefe Farbenton eines Oel-
gemaldes viel zu schwer fir eine Beigabe der Architektur und
liegt — namentlich bei so umfangreichen Bildern — wie eine
Last darauf, statt dass lichte Farben die Mauermasse aufzuheben
scheinen.

Das Hauptbild des Mittelsaales ist die Zerstérung Jerusa-
lems. Ich habe mir meine Bewunderung dieses ausserordent-
lichen Werkes weder durch iibermassig lobende, noch durch
eine verurtheilende Kritik, noch auch durch das, was mir daran
fehlerhaft scheint, je im mindesten schmalern lassen. Jetzt, an
der Stelle, die ihm durch kénigliche Fiirsorge besonders bereitet
worden, im Vollbesitz sciner malerischen Wirkung, zumal bei
einem frther nie zu erméglichenden weiten Abstand, wird kaum
eine andere Empfindung als die der Bewunderung Platz greifen
konnen, zumal, wenn man bedenkt, dass dies eine Art Erst-
lingswerk des Kinstlers ist, dass er daran — ein Autodidakt —
die Schule der Oelmalerei bei sich selber durchgemacht hat.

Es hingen noch in dem Saal zwei lebensgrosse Bildniss-
figuren von ihm, Gestalten aus einem Kinstler-Maskenfest; fer-
ner eine Landschaft von Heinlein, ein Seesturm von Jacobs
(aus Antwerpen) und zwei grosse Wildpretstiicke von W. Mel-
chior und B. Adam.

Das Hauptbild des vierten Saales ist der Einzug des
Kénigs Otto in Nauplia 6. Febr. 1833. von Peler Hess, ein
durch die lebendige Darstellung und wahrhafte Charakteristik,
sowie durch seine vielen Bildnissfiguren héchst interessantes,
lubrigens sehr bekanntes Gemalde. Ausserdem enthalt der Saal
mehrere grosse Landschaften von Zwengauer, Wagenbauer,
Alb. Zimmermann, Chr. Ezdorf, Achenbach und Jos.
Koch, dazu ein Schlachtenbild von W. v. Kobell.

Im fiinften Saale fesselt uns vor allen ein grosses Al-
targemilde von Heinr. v. Hess. Wohl die Mehrzahl der ге-
ligidsen Bilder in Galerien sind Allarbilder und haben als solche
in Kirchen gedient; zum ersten Mal vielleicht ist ein Altarbild
mit der ausdriicklichen Bestimmung fir cine Galerie gemalt
	Wenn es der Zweck der Kunstthatigkeit ware, die Wirk-
lichkeit materieller Existenz zur Anschauung zu bringen, dann
miisste auch die Wachsfigur und das lebende Bild der Gattung
nach das héchste Kunstwerk sein; denn beide bringen es zur
mdglichsten Tauschung der Wirklichkeit. Ist es aber das We-
sen und der Zweck der Kunst, die spirituelle Wesenhaftigkeit
und die charakteristische Eigenthtimlichkeit der Dinge heraus-
zuheben und zu gestalten, vereinigen sich darin Leben und
Kunst, die wahrhafte Psyche zur Erscheinung zu bringen, dann
geht auch die Aufgabe der Darstellung fiir den Sinn nicht bis
auf das Unwesentliche und Zufallige und noch weniger tber
dieses hinaus. — Géthe’s Wort erscheint uns zur Anfihrung nicht
unpassend: , Die héchste Aufgabe einer jeden Kunst ist, durch
den Schein die Téuschung einer héheren Wirklichkeit zu geben.
Kin falsches Bestreben aber ist, den Schein so lange zu ver-
wirklichen, bis endlich nur ein gemeines Wirkliche tibrig bleibt ),
Dass aber die Sculptur, um von dieser zu reden, reiche Mittel
genug besitzt, jene hohere Wirklichkeit zur Erscheinung zu
bringen, beweisen die grossen Meisterwerke der Alten und
Neueren, und es mag selten wohl ein Bildhauer iiber diese
Mittel der Sculptur hinausgreifen, wenn er sie vollstindig er-
kannt und zu beherrschen gelernt hat, — Weil aber die Sculptur
einmal Sculptur ist, muss sie auch innerhalb ihrer Milttel blei-
ben, Die Farbe aber ist in ihrem Wesen ein ganz Anderes,
Gegensalzliches; sie ist leicht, flichtig und bewegt, die Sculptur
dagegen ernst, bleibend und ruhig; und diese Grundunterschiede
gestalten jede vereinigende Annaherung zur Verunreinigung.
Und was ist damit gewonnen, wenn die Farbe uns das durch
seinen Wurf und Falten charaktervolle Gewand blau oder griiu
zeigt, da sich ein solches Streben der Belebung doch nur auf
die Aeusserlichkeiten durchfihren lasst? Denn die Statue wird
das blaue Auge und die rothen Lippen doch nicht bewegen; sie
hleibt immerhin eine todte Statue. Darum Jasse man auch die
Lippen ohne Roth und das Gewand ohne Blau, und den Beschauer
ohne den Zwiespalt, den solche Beschworungen des matcricllen
Daseins hervorrufen.
	{) Géthe, Wahrheit und Dichtung. Ш. 49.