Den immer wiederholten Hinweis auf die Polychromie der Griechen in der Bliithenperiode der Kunst sollte man so lange auf sich beruhen lassen, bis erwiesen polychromirte Werke dieser Blithenzeit einige Sicherheit an die Stelle der Vermu- thungen gesetzt. Wir wollen dabei nicht verschweigen, dass in jiingster Zeit zu Neapel eine polychromirte Statue, die in Herculanum gefunden worden ist, aufgestellt wurde; sie stellt eine mannliche Figur dar, ist aber leider noch nicht der all- gemeinen Belrachtung tibergeben ), Wie die meisten Versuche, der Polychromie in der Sculp- tur wieder Eingang zu verschaffen, ungliicklich ausfielen, so muss man dies auch von einem solchen Versuche sagen, der hier in Rom vorgenommen wurde. Der bekannte Englische Bildhauer Gibson hat dazu die Darstellung der Venus gewahlt. Man miisste nun wohl von einer Statue, zu deren Wirkung die Farbe hinzugezogen wird, vorerst Vollendung der Form ver- langen, und diese vermissen wir in diesem Werke allerdings. Wir finden in dieser Venus nur die Verkérperung eines sinn- lichen Elements, ohne den Adel, der in der Sinnlichkeit der Antike liegt. Demgemass erscheinen die Kérperformen, wenn auch tiberall mit Geschick und Talent gemacht, nirgend edel und idealisch. Die ungefahr lebensgrosse stehende Figur scheint in dem Moment aufgefasst zu sein, wo sie von einer gewissen Sehnsucht getrieben, in die Ferne spiht; sie halt in der linken Hand den goldenen Apfel und die Rechte legt sich unter den linken Arm an ein langes Gewand, welches von hier herabfallt und eine Schildkréte halb bedeckt; der rechte Fuss ist bis auf die Zehenspitzen erhoben. Was fiigt die Polychromie nun zu dieser Darstellung hinzu? Das lockige Haar hat einen leichten, gelblichen Ton; es wird von blauen Bandern netzartig zusam- mengehalten, Das Auge ist gleichsam blau angelaufen, die Lippen ebenso réthlich, der Apfel in der linken Hand ist ver- goldet, und ein Armband des linken Oberarms trigt Goldver- zierungen. Der ganze Kérper hat einen gelblichen, warmen Ton, theils hervorgerufen durch das kihle milchweisse Gewand, welches von roth und blauen Randstreifen eingefasst wird. Die Schildkréte ist vergoldet, — Gewiss ist die Farbe massig ап= gewandt; allein man fragt dennoch: was bezweckt sie hier, welchen Eindruck erhéht sie? Sicher nicht den des Lebens! Eine kleinere polychrome Figur von Emil Wolff, die fast ganz durch ein Bronzegewand hbekleidet wird, kann uns ebensowenig zusagen. — So Sparliches wir von der Polychro- mie der Alten wissen, so war sie gewiss keine derartige An- malung durch Pinsel, wie in dieser. Es ist durch Hittorff?) und Andere viel Sinnverwirrendes und ausser Kugler’s Werk ?) wenig Verstindiges in dieser Angelegenheit geredet worden. Wir kénnen es uns nicht versagen, eine beiliufige Note Wel- kers zum Schluss hierhin zu setzen *): , Offenbar hat also die Kunst in ihrer Fortbildung die kleine in Farben gegebene Nachhiilfe des Ausdrucks als eine dem héheren Styl und der in die reine Form gelegten Wide nicht angemessene Nebensache abgestreift, und nicht in einer ent- stellenden Buntheit eine Ilusion gesucht, die durch den Cha- rakter der Gestalten, Stellungen, Geberden, durch den Gesichts- ausdruck zu erreichen, die hohere Aufgabe selbstaindiger, ide- aler, erhabener Bildkunst war. Einige Aussendinge, wie etwa Schild, Lanze, Ztigcl aus Metall liessen sich in eine ibrigens 1) Nach der uns gegebenen Versicherung eines italienischen Kinstlers ist diese Figur von kolorirtem Marmor. №, Вед. 2) Hittor, Restitution du temple d’Empédocle a Sélinonte, ou Archi- tecture polychréme ches les Grecs. Paris 1901. 3) Neu abgedruckt in seinen kieinen Schriften. 1. Bd. 2. u. 3. Lief. 4) Welcker, alte Denkinale. I. 29. auf ihr Element, den Marmor und die Form beschrankte Dar- stellung von so erhabenem Umfang und Gehalt, eher aufnehmen, als grelles Roth oder mattes Blau — als nichtssagende Verzie— rung an Werken beibehalten, die dem Geschmacke der Zier- rathen in ihrer hohen Einfalt so ganzlich fremd erscheinen. Den Sinn der siidlichen Volker fiir lebhafte Farben im gemei- nen Leben sollte man nicht ibertragen auf die Regionen voll- endeter Bildhauerei, wo das ideale in der Auffassung und in den Weisen und Mitteln der Darstellung eine so grosse und so sichere Herrschaft austibt. “ a Mittheilungen aus Rom. Von Ernst aus’m Weerth. Ш. (Pieta des Signorelli.?) Es ist uns, da wir keine Muhe gescheut haben, gelungen, iiber die besprochene Pieta des Lucas Signorelli nahere Ацзкии 2 егапоеп. Zur Verbesserung unserer vorigen Beschreibung fiigen wir hinzu, dass das Bild auf Holz gemalt ist und die Grosse von A¥uss Hohe und 33 Fuss Lange hat. Die Mittelténe sind graugelb, Schatten und Lichter schraf- firt, die Berandung des Gewandes und die beiden Nimbus in Gold ausgefiihrt. Wir wenden uns zur Geschichte des Bildes, und glauben bei der Wichtigkeit, welche die Pieta des Michel-Angelo hat, einestheils als ein Werk, welches einen Hauptabschnitt sei- ner Jugend charakterisirt, anderentheils wegen der vielfachen Untersuchungen, die tiber dieses hedeutende Kunstwerk jeder- zeit gefihrt worden sind, — wie bei der unbezweifelbaren Thatsache, dass Michel-Angelo die Idee seiner Arbeit dem Bilde des Signorelli entnommen hat, wenn sie auch bei ihm in noch so hohem Grade veredelt erscheint, — zu dieser Ausfiih- rung verpflichtet zu sein”). Der jetzige Besitzer, Signor Gianmaria, erwarb das Bild von einem in Rom angesehenen Manne mit Namen Tomassini, der es von dem Maler Giangiacomo erworben hatte. Dieser Giangiacomo, der das Gemalde von dem bekannten Wicar er- hielt, hinlerliess mit demselben folgendes Schriftstuck *); 1) Als wir unsern vorigen Bericht absandten, war es uns nicht még- lich, das Bild von Correggio nochmals zu sehen; weshalb wir jetzt, nach- dem dieses geschehen, zu dessen Beschreibung nachtragen, dass das Unter- gewand der Maria von rother Farbe, das dartberfallende griine Obergewand am rechten Arm eine weisse Innenseite zeigt und der Kopf von einem weis- sen Tuch bedeckt wird. Die heilige Catharina ist braungewandet itber eimem weisslichen Unterkleide, das in seiner Innenseite am Aermel auch braun ist; sie ist ohne Kopftuch und hat, wie die tbrigen Figuren, blondes Haar. Das Kind wird von einem weissen Hemdchen bekleidet. Das Roth, Grin und Gelb ist im Lichte hellweiss und tief im Schatten; die Mittelténe zeigen die meisterhafte Durchsichligkeit des Kinstlers, die weissen Tone gehen darin ins Gelbliche. Das Licht fallt anf die Profiltigur der Maria, den oberen Theil des Gesichtes des Kindes und sein rechtes Aermchen, und belenchtet zum Theil auch die Catharina. Eine Benutzung der Composition findet sich in einem Schulbilde, vielleicht von Parmeggianino, im hiesigen Kunsthandel. Zum grésseren Bilde des Botticelli bemerken wir noch, dass uns wohl die Inschrift seines Bildés der Aubetung bei Young Ottley in London bekannt war, wir diese aber nicht sowohl als ein Monogramm, sondern als Beigabe besonderer Bedeutung ansehen. 2) Die Bemerkung des Vasari im Leben des Signorelli: ,Zu Monte santa Maria malte er far jenen Herren eine Tafel mit dem todten Heiland“ — giebt ihrer Kiirze halber keine Aufklarung tiber unser Bild. 3) Wir geben lieber zu der obigen Uebersetzung das Originalschrift- stick.