hen, die mit gefaltelen Handen, nach oben schauend, das Ge-
sicht nach Christus gewandt, halbkniecend hetet. Sie hat einen
phantastischen Kopfputz auf, eine knappe, griine Haube, dariber
einen roth und weissen Bund, ihr Gewand ist unten mit breitem
Grauwerk besetzt, ein weisser Shawl liegt lose um den Hals,
von dem bis zur linken Hifte herab ein breites, graues Or-
densband hangt, worauf unten ein Orden, eine rothe Rosette,
sich befindet; vor ihr steht eine goldene Biichse. Vielleicht ist
sie eine adelige Donatrice, denn sie ist weder eine Heilige,
noch Nonne oder Geistliche, ihre Kleidung ist ganz anders
als bei den ttbrigen Figuren; hinter ihr reitet ein ganz golde-
ner Ritter mit geschlossenem Visir in das Gettimmel des Mittel-
grundes. Dieser und der Hintergrund, der fiir Basrelief zu
hoch geworden, ist zwar sehr lebendig, unter und neben dem
Kreuze aber sehr verworren, indem sich dort neun Reiter mit
ihren Pferden, die nicht besonders gut gerathen sind und zu-
viel Platz einnehmen, herumlummeln. Die Reiter, aus allerlei
Volk bestehend, haben gar seltsame Trachten; ein Rilter halb
roth, halb schwarz kostiimirt, mit goldenem Helm und geschlos-
senem Visir, hat am linken Oberarm eine Binde, worauf in alt-
deutscher Schrift die Buchstaben I. G. A. L. stehen.

Im obern Felde der rechien Fligelihtire ist die Héllenfahrt,
Christus im Limbus, in sieben Figuren und zwei Teufeln dar-
gestellt. Es ist eine getreue Kopie nach der bekannten, selte-
nen Radirung oder dem Stich von Martin Schén, wo der Teufel
in wahrhaft damonischer Gestalt mit Fischflossen am Ellenbo-
gen, mit zerlrimmerten Breltern in den Klauen, die Menschen
zurtickzutreiben sucht, wo Christus, schén und schwungvoll
drapirt, einen andern Teufel zertritt, mit der Reehten die Sie-
gesfahne schwingt und mit der Linken die Menschen, Adam
und Eva voran, mit ihrem verhingnissvollen, rothen Apfel т
der Hand, aus der Hille erlést.

Das untere Feld enthalt die Kreuzabnahme in der gewoéhn-
lichen Weise und in sieben Figuren, wovon zwei nebst der
Leiter fehlen. Joseph von Arimathia empfangt den Leichnam
vom Kreuze, den zwei Arbeiler abnehmen; dabei stehen Maria
und Johannes leidtragend und héchst schmeravoll ergriffen, in-
nigst betriibt.

Das Ganze dieses schénen Altars, aus vierundfiinfzig Fi-
guren bestehend, die alle auf goldenem Hintergrunde placirt
sind, gewahrt einen prachtvollen, heiteren, lebendigen Anblick.
Er ist in den Hauptgegenstinden fast unangelastet wohlerhallen,
ohne den geringsten Wurmfrass, bedarf aber von geschickter
Hand sehr sorgfaltiger Reinigung, Ergainzung vom Bildhauer,
neuer Vergoldung und Auffrischung, wo er alsdann noch drei
Jahrhunderte fort existiren kann.

So wie die freiere Bewegung, der bessere Fallenwurf, die
gute Zeichnung der Figuren des Schnitzwerkes besser verstan-
den und bemerkenswerther als es gewdhnlich bei Arbeiten die-
ses Zeitalters der Fall ist, ebensosehr ist der Staffirmaler als
ein trefflicher Kinstler zu riihmen, der durch seine sorgfiallige
Bemalung dem Schnitzwerke einen héheren Reiz, Werth und
Leben verlieh. Seine Farben sind noch jetat lebendig und be-
stehen nicht aus Leim- oder Oelfarben. Er fiihrte die Arbeit
in den Niiancen der Fleischténe bis zur héchsten Tauschung
und bis zur natiirlichsten Vollendung aus; so dass jede Figur
ein Miniaturbild geworden ist. Die Hauptfiguren sind in den
Gewindern ganz vergoldet oder versilbert, die dann theils mit
verschiedenen transparenten Farben tiberzogen sind, so dass das
Gold oder Silber durchscheint, was dann eine sehr prachtvolle
Wirkung macht.  

Der Tradition nach soll der Schrein, an dem alle Attribute
der katholischen Kirche fehlen, bei einer grossen Sturm- und
Wasserfluth, wovon jene Gegenden oft heimgesucht werden,
	dort angeschwemmt sein; vielleicht stammt er aus der briigge~
mann’schen Schule, der bekanntlich am jenseitigen Elbufer im
Holsteinischen lebte und arbeitete und wo auch noch jetzt seine
Arbeiten existiren. Es mangelt dariiber sonst alle und jede
Nachricht; der hundert Jahr jingere Auf- und Unlersalz des
Schreins, die zu ihm nicht gleichzeitig passen, zeigen auch,
dass er nicht urspriinglich da gewesen ist. Er ist nach Obi-
gem nicht Alter als Marlin Schén (starb 1488), also sicherlich
eine Arbeit aus der Blithe diescr Kunstepoche von 1480 bis
1530 und stammt daher noch aus dem Ende der katholischen
Zeit, wo beim Religionswechsel 1526 meist alle geschichtlichen
Ueberlieferungen tiber Arbeiten dieser Art nicht weiter beachtct
wurden und allmahlig verloren gingen.

Ferner sind zwei goldene, kunstreiche Kelche und Patene
dieses Allars von den Jahren 1523 und 1563 interessant und
bemerkenswerth; sie zeichnen sich durch schéne Formen und
geschmackvolle Arbeiten aus, sie sind mit edlen Steinen gar-
nirt, mit Ornamenten nach Aldegrever und Jac. Binck ciselirt,
und, mit Basreliefs verziert, zeigen sie den Vorzug der alten
Goldschmiedekunst vor der Neuen. Auch sind die zwei gros-
sen, silbernen Altarleuchter von 1706 im tiberladenen, reichen
Styl des sicbenzehnten Jahrhunderts durch treffliche Arbeit se-
	henswerth.
	Hamburg, 1853. Phil. Limmer.
	Fin romanisches Reliquarium, bisher im Besitze des Fitr-
sten Salm-Salm zu Anholt.
	Пе Апозригоег АПоешеште Рецапо уот 17. МоуетьЬег 1605
No. 321 enthalt folgende wunderliche Nachricht:

3 Berlin, den 13. November. Ein kostbarer Schrein wurde vor
mehreren Wochen aus der Kirche zu Doornick am Niederrhein yon
dem damaligen Pfarrer fir einen wahren Spottpreis an einen Juden
verkauft, der denselben fir das Doppelte an den Fiarsten Salm-Salm
in Anhalt (sic) iberliess. Ein K6lner Antiquilatenhindler, der davon
Wind bekam, erstand den Schrein fir die bedeutende Summe von
3000 Thirn. und gab sofort einem in Paris lebenden, russischen Féar-
sten, einem Liebhaber und Sammler alter kirchlicher Kunstgegenstande,
davon Nachricht. Der Férst eilte nach KéIn und kaufte den Schrank
far 30,000 ThIr. Der Kaufer soll einer der reichsten sibirischen Berg-
werksbesitzer sein und wirde seine Acquisition nicht fir 100,000 Thir.
ablassen. Der Schrein stellt die Justinianische Sophienkirche in Con-
stantinopel in prachtvoller Ausstattung vor. Er ist wahrscheinlich zur
Zeit der Kaiserin Theophania, Gemahlin Kaiser Otto’s II, oder wahrend
der Kreuzziige nach Deutschland gekommen und soll das erste Kunst-
werk des Abendlandes gewesen sein. mit dem selbst der berihmte
Schrein der drei Kénige in Kéln keinen Vergleich aushalte. So sagt
man! «

Der Unterzeichnete hat bereils vor 15 Jahren cin romani-
sches Reliquarium, ein Besitzthum des Firsten Salm-Salm, im
Schlosse zu Anholt gesehen. Wie mit ziemlicher Sicherheit zu
vermuthen steht, ist unter dem obenerwahnten Schrein dieses
Reliquarium gemeint. Es kann daher nicht vor mehreren Wo-
chen von dem Pfarrer von Dornick (kleines Dorf, 1 Stunde
oberhalb Emmerich) an einen Juden verkauft worden sein.
Ueberhaupt ist es ganz unwahrscheinlich, dass die dirflige
Kirche dieses Orts, wo sich nie ein Kloster oder eine sonslige
geistliche Stiftung befand, ein derartiges Kunstwerk besessen
haben kénne. Es ist vielmehr zu vermuthen, dass dasselbe aus
der nahegelegenen ehemaligen Reichsabtei Elten stamme.

Dieses aus dem 12. Jahrhundert herrithrende Reliquarium,
von elwa 1! Fuss Hohe und gleicher Breite, bildet eine Capelle
in reichem romanischen Styl. Die Grundform ist ein Quadrat,
an welches sich auf den vier Seiten rechiwinkliche Absiden an-
schliessen. Das Ganze ist mit einer runden Kuppel bedeckt.