ETWAS ÜBER DIE ENTWICKLUNG DES NOTENDRUCKS.


Die Sprache iß uns gegeben, um unfre Gedanken und Gefühle auszudrücken oder anderen verfländlich zu machen. Durch gefchriebene oder gedruckte Buchfiaben und Worte können wir fie anderen Menfchen, die uns nicht hören können, mitfeilen oder für fpätere Zeiten und Gefchlechter aufbewahren. Durch die Erfindung der Schriftzeichen war es möglich, Nachrichten und Geichehniffe längff vergangener Zeiten unfrer Zeit zu übermitteln.
Das einfache gefprochene Wort wird aber bald nicht mehr genügt haben, um die Wirkung hervorzurufen, die man wünfchte, fo daß man auf die Idee kam, den Worten durch befondere Tonfolgen oder durch Vorrichtungen und Inffrumenfe, zuerfi primitiver, fpäter immer belferet Art mehr Nachdruck zu verleihen. Man ging dazu über, die Worte zu fingen oder durch Geräulche zu begleiten oder zu unterbrechen, um fie befonders hervorzuheben. Die Weiterentwicklung führt zu den vielfältigen Tongebilden, wie wir fie heute kennen.
Es iß verfländlich, daß man den Wunfch hafte, befonders fchöne und gefällige Tongebilde immer wieder zu hören. Zuerfi werden diefe Wiederholungen nur durch Einüben und traditionelle Über
lieferung gefchehen fein. Schlachtgefänge, Kirchen- und Volkslieder mögen fo entfianden fein. Der fahrende Sänger zog durch das Land, Mufik und Nachrichten verbreitend. Erfl fpäter kam man dazu, durch befondere Zeichen, alfo eine Notenfchrift, die Aufeinander
folge der Töne,Tonart und Rhythmus des Gelanges oder der Inflrumentalmufik feflzulegen, um dadurch das Wiederholen zu erleichtern.
Die erfie fyflematifche Notenlchrift brachte 1025 Guido von Arezzo, ein Benediktiner im Klofler Pompofa bei Ravenna, auf. Seine Noten flanden auf und zwifchen vier Linien; ebenfo wandte er den Schlüflelbuchflaben zum Anzeigen der Tonhöhe zuerff an.
Man wundert fich fehr, wenn man erfährt, daß der eigentliche Notendruck nach buchdruckerifchen Regeln erfl zirka 300 Jahre nach der Erfindung der Buchdruckerkunff eingeführt worden fein foll. Der Gedanke, bewegliche, alfo zufammenfeßbare Typen für den Notendruck ebenfo wie für den Buchdruck zu verwenden, lag doch fehr nahe.
Es ifl heute fehr fchwer fefizuflellen, welche Gründe und Umflände Vorgelegen haben mögen, daß man erfl nach fo langer Zeit dazu gelangte, den Notenfaß aus beweglichen Lettern herzuffellen. Nicht ohne Wahrfcheinlichkeit ifl die Vermutung, daß die große Zahl der zum Notenfaß notwendigen verfchiedenartigen Figuren
— es find heute über 400 — und die fchwierige Art der Herfiellung derfelben die Leute früherer Zeiten davon abhielt, den Notenfaß aus beweglichen Lettern herzuflellen. Dazu kam, daß der Schriftguß fich noch im Anfangsfiadium feiner Entwicklung befand.
Die damals gebräuchlichen einfachen mufikalifchen Kompofitionen der Meß- und Choralbücher verlangten auch noch keinen kompli
zierten Notenfaß. Erfl die immer weiter fortfehreitende Ausbildung der Mufik wird dazu gedrängt haben, fich um die Vervollkomm
nung des Notendrucks zu bemühen. Da die Pflege kultureller und geifliger Güter vorwiegend in den Händen der Geifllichkeit, alfo ihrer Kirchen und Klöfler lag, und diefe die Macht der Mufik kannten, ifl es nicht verwunderlich, wenn meiffens kirchliche Mufikflücke gedruckt wurden und auf unfre Zeit überkommen find.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts macht man Verfuche, Noten zu drucken. Zuerfi waren es in Holz gefchnittene Nofen
zeilen, die dem Text eingefügt wurden. Dann benußte man den Kupferflich, indem man die Noten in die Kupferpiaffen einflach und abdruckfe; der Text wurde als zweite Form übergedruckt.
Der ältefle Notendruck findet fich in den Mariengefängen des Johannes Gerfon von 1473. Mit beweglichen Metalltypen druckte zuerfi Jörg Reyfer die Notenfchrift im Jahre 1481.
Der Italiener Ottaviano di Pefrucci aus Folfombrone erhielt auf feine Art des Notendrucks ein Privileg vom Rat der Stadt Venedig am 25. Mai 1498. Seine Drucke find Doppeldrucke. Zu
erfi wurden die Syfiemlinien, dann die Notenzeichen drübergedruckt. Diefe Art des Notendrucks muß fehr viel Zeit gekofiet haben und mit vieler Mühe verbunden gewefen fein, um ein genaues Ein
palfen der Noten in das Linienfyflem zu ermöglichen. Notendrücke von Petrucci haben heute Sammelwert.
Ein ähnliches Verfahren hatte der Buchdrucker Duverges in Paris. Der Saß der Notenzeichen wurde ohne Linien ausgeführt. Man fchnitt die Linien, nachdem der Saß gematert, mit einer ein
fachen Mafchine, die fünf Rollen hatte. Es wird behauptet, daß diefe Noten den befien gefiochenen gleichwertig gewefen fein follen.
Die jeßt gebräuchliche Notenfchrift findet fich zum erfienmal in einem Buch des Magdeburger Kantors Martin Ägricola 1528.
Die Angaben über die Weiterentwicklung der Nofentype find nun fehr verfchieden. Nach der einen erfand der Schriftgießer Jacques Sauleque in Paris fchon 1558 die Notentype, bei der Linien und Notenzeichen vereinigt find. Nach anderen Angaben findet man Notendrücke, die die Merkmale der Zufammenfeßung aus einzelnen Typen tragen, mit der Jahreszahl 1729. Vielleicht ifl man noch früher und an mehreren Stellen zugleich auf die Benußung beweglicher Typen gekommen.
Die wirkliche Einführung des Notendrucks, wie wir ihn heute haben, ifl 1755 durch Joh. Gottl. Imman. Breitkopf in Leipzig erfolgt.
Es Ichien zuerfi, als ob durch die Erfindung der Lithographie durch Senefelder 1796 dem Buchdruck in der Herfiellung von Mufiknotendrucken eine große Konkurrenz erwachfen würde. Bald fanden aber beide Verfahren das für jeden geeignete Gebiet. Der Notendruck mit beweglichen Typen findet hauptfächlich Anwendung beim Druck von Lehrbüchern und Liederbüchern mit überwiegen
dem Text, während der Lithographie der eigentliche mufikalifche Notendruck und feine Ausfchmückung zufiel.
III.
Von Interelfe möge fein, daß mir Abbildungen bekannt find, die erkennen laffen, daß fchon 1550, alfo lange vor Erfindung der Lithographie, Schrift mit Noten in Kalkfieinplatten eingeäßt wurden.
Man verfah die Noten fchon immer mit bildlichen Schmuck vielerlei Art. Die Titelblätter fanden befondere Bevorzugung. Viele bekannte und hervorragende Zeichner und Maler haben Blätter hierfür gefchaffen. Alle zeigen fie den Stil ihrer Zeit. Die alten
Blätter find hauptfächlich Kupferffiche; neuere Blätter werden in Buchdruck oder Lithographie und Steindruck ausgeführt. Blätter von hohem kiinfflerifchem Reiz, dem ernfien Gehalt des Mufikflückes angepaßt, oder voller Wiß, Humor, Laune und mehr oder weniger auf die Art oder den Inhalt des Tonwerkes Bezug neh
mend, find zu finden. Für Sammler und Liebhaber fei an die Randzeichnungen von Slevogt zu Mozarts Zauberflöte, in Radierung ausgeführt, erinnert.
Obwohl es heute möglich iß, mit Hilfe geeigneter Apparate, durch die Grammophonplatte die menfchliche Stimme, Naturlaufe, mufikalifche und andere Geräufche aufzunehmen, aufzubewahren und nach Wunfch wiederzugeben, werden doch die Notenfchrift und der Notendruck ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Tonwerkfchöpfung und Wiedergabe von Originalmufik behalten.
Mit einer Beeinflulfung durch unfer alles immer mehr mechanifierende Zeitalter wird man fich abfinden mülfen. Auch der Notendruck wird fich zur rechten Zeit neueren, zeitgemäßen Druckverfahren anzupalfen wißen, um nicht im wirtfchaftlichen Wett
bewerb zurückzubleiben und fich durch gänzlich anders geartete Erfindungen verdrängen zu laßen. K K.
Gesetzte Musiknoten aus dem St. Galler Gesangbuch 1797.