PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL — MÜNCHEN.
Schloß Rehnitz. Wirtschafts-Gebäude.
FACHMANN UND KRITIKER. So lange es eine Kritik gibt, gibt es auch Leute, die
dem Kritiker die Existenzberechtigung absprechen, die ihn danach fragen, wie just er dazu käme, ein Urteilsrecht für sich in Anspruch zu nehmen, wer ihn denn dazu berufen hätte, und wo er sich die nötige Vorbildung geholt. Es ist begreiflich, daß die, denen der Kritiker einmal Schmerzen bereitet hat, am eifrigsten dabei sind, dem Bösewicht die Axt an die Wurzel zu legen. Der oberflächlichen Betrachtung könnte es ge
nügen, das Anrennen gegen die Herrschaft des Kritikers auf solche Verärgerung zurückzuführen; man könnte die Achseln zucken und sagen : der Mann hat recht, ihm muß der Kritikschreiber ein Stein des Anstoßes sein. In
dessen, die Möglichkeit liegt nahe, daß auch die, denen die Kritik mancherlei Gutes getan, heimlich, wenn
sie unter sich sind, den sehr geschätzten Förderer suffisant belächeln : eigentlich hat er doch keine Ahnung und das Wesentliche vermag er nicht zu sehen, aber er backt aus Worten eine gute Pastete, an der unser Ruhm und unser Portemonnaie sich satt essen können. Mit solcher Duldung kann der Kritiker sich nicht zu
frieden geben ; er muß seine Daseinsberechtigung und seine Notwendigkeit fester gründen. Es darf ihm nicht genügen, als ein wohlwollender Onkel angeprostet zu werden; er muß seinem dreifachen Amt als Richter, Erzieher und Prophet die begründete Anerkennung ver
schaffen. Er muß dem Begrift vom Fachmann, den man gegen ihn auszuspielen pflegt, den Wind aus den Segeln nehmen; er muß seine volle Zuständigkeit und zwar eine Zuständigkeit im höheren Sinne nachweisen. Erst dann wird er hoffen dürfen, daß sein Lob nicht nur eine Reklame, auch eine Produktionskraft ist ; vielleicht gelingt es ihm sogar, die Getadelten, die Widerstrebenden, von dem positiven Wert seiner Negation zu überzeugen.
Die Fachleute wollen den Kritiker nicht, aber sie möchten die Besprechungen, möchten Artikel über sich und möglichst gegen die anderen. Da liegt die Frage nahe, warum schreiben die Fachleute nicht eigentlich selbst das, was sie für nützlich halten. Warum greifen sie nicht zu dieser radikalen Lösung? Weil: erstens,
die Wirkung auf das Publikum ausbliebe, wenn der Künstler und der Produzent sich selbst lobten. Zweitens,
weil sie in den seltensten Fällen vermöchten, die gute Meinung, die sie über sich haben, in verständliche und wirksame Form zu bringen. Die Erfahrung lehrt, daß einem Urteil nur dann Wert beigelegt wird, wenn es auf neutralem Boden wuchs; das Publikum ist ein Racker, es glaubt dem Maler Meyer nicht so ohne weiteres, daß seine Bilder die besten des Jahrhunderts seien, noch dem Fabrikanten Lehmann, daß seine Fauteuils
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