steigerten Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, als der Antipathie gegen alles, was Phantasie, Illusion, Spiel heißt. Dieser moderne Mensch erzwingt sich mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes sein modernes Kunstgewerbe. Aber die einzelnen Grundsätze, auf denen es basieren soll, haben darum noch lange keine allgemein gültige Kraft. Der ewige Wandel der »Stile« ist nicht beendet, weil auch die Lebensanschauungen sich ewig wandeln werden.
Der Mensch des Mittelalters lebte unter dem Bann der Kirche. Die Religion beherrschte das öffentliche wie das private Leben. Der gotische Stil ist ein Kirchenstil und was das Kunstgewerbe für den Bürger schafft, trägt die Formen der kirch
lichen Kunst. Die Renaissance spiegelt die an der Antike gestärkte neue bürgerliche Kultur, die Lebenslust der erwachenden Sinne, die gesunde Kraft eines Menschen, der nicht mehr dienen, sondern herrschen will. Das Barock wird weicher
und kühner zugleich, der Mensch hat nicht mehr die naive innere Sicherheit, man schwelgt in einem sinnlichen Formenrausch, ein Zeichen, daß das Leben selbst nicht befriedigt. Die gesteigerten materiellen Mittel konzentrieren sich wieder in der Hand der Fürsten und der Kirche. Die Stile Ludwigs des
Vierzehnten, Fünfzehnten und Sechszehnten sind im Grunde nur Varianten eines Hofstils, dem die feste
Fundierung im Volke fehlt; die ganze Kultur ruht auf künstlicher Grundlage. Unter einer gewaltigen Erschütterung fällt die morsche Welt zusammen. Noch einmal wird eine Anleihe bei der Antike ge
macht, das Empire ist eine gewaltsame Schöpfung des durch Soldatengewalt herrschenden Kaisertums. Der Deutsche liefert dazu eine bescheidene Über
setzung in seinem Biedermeier, dem Ausdruck eines verschüchterten, anspruchslosen Menschen.
Was wir heute sehen, ist die direkte Konsequenz der französischen Revolution. Ein Jahrhundert lang flatterte man in ewiger Ungewißheit von Stütze zu Stütze, der moderne Mensch hatte sich noch nicht
gefunden. Er schlüpfte aus einem Gewand ins andere, bald war er gotisch fromm, dann wieder mit dem Barock großtuerisch, er tändelte mit dem Rokoko, kein Rock saß ihm. Das 19. Jahrhundert
charakterisiert sich durch den jähen Wechsel der Weltanschauungen, der das Werden und Entstehen der rein materialistischen Gesellschaft begleitete. Ein Gegenstück dazu ist das Karussel der Stile im Kunstgewerbe wie in der Architektur. Oder vielmehr: Das eine bedingt das andere. Der Mensch
ARCHITEKT ERNEST NEWTON-LONDON.
HAUPTEINGANG DES HAUSES LUCKLEY.