VOM KÜNSTLERISCHEN NACHWUCHS.


VON ANTON JAUMANN—BERLIN.


N




och keine Epoche der Kunstgeschichte wie der


der Völkergeschichte überhaupt war so geartet, daß sie nur Aufstieg bedeutete oder nur Ver
fall. Etwas Jugend und schwellende Keime gab
es immer, die inmitten von Marasmus, von fauliger Überlebtheit in die Zukunft wiesen. Das Leben, das stets Ersatz schafft und für jeden freiwerden
den Platz neue Keime bereit hält, hört nie auf zu wirken. Es ist darum ungemein schwierig, über die eigene Zeit, und sei es auch nur für ein so beschränktes Gebiet wie Architektur und Kunst
gewerbe, zu entscheiden, ob sie ein Anfang ist oder ein Ende, eine Erfüllung oder nur ein Übergang. Mein Gefühl sagt mir ja, daß unsere Häuser
architektur am Beginn einer neuen Blüte stehen mag; doch es ist ebenso leicht möglich, daß nie
mand auftritt, der die schönen Verheißungen ganz erfüllt, daß die Kräfte vor dem Gipfel erlahmen. Von den gegenwärtigen Experimenten und Ergeb
nissen ist auf alle Fälle vieles zu lernen, es besteht nur die Gefahr, daß man mit dem rasch Gelernten sich zufrieden gibt, daß man über der program
matischen Läuterung der Architektur ihre große Aufgabe als Kunst» als Gestalterin der gebauten Form vergißt. Noch zweifelhafter steht es mit dem
Kunstgewerbe. Wer will sagen, ob die prächtigen Anfänge, die der Sturm um die Jahrhundertwende uns gebracht hat, heute konsequent weiterentwickelt werden, ob vielleicht eine neue Bewegung neben
her einsetzt, oder ob wir uns überhaupt in einem Zustand der Ermattung befinden, wenigstens was die schöpferische Kraft der Erfindung, der wesentlichen Neugestaltung betrifft?
Die Künstler, die mit ihrer Wirksamkeit an eine so fruchtbare in Reformen unerschöpfliche Epoche anschließen, haben immer einen besonders schwierigen Stand. Wie sie es auch anfangen mögen, sie werden fast immer als Epigonen be
trachtet, und tatsächlich kann ihr Schaffen auch nur selten dem Bann des Epigonentums entgehen. Sie sind nicht mehr die ganz Jungen, die Pfad
finder, die ins Unerforschte ausziehen; wenn sie nicht in die Fußstapfen der Vorgänger treten, so dienen diese ihnen auf jeden Fall zur Orientierung, das Vorhandene bestimmt unausweichlich ihre Pro
duktion. Selbst der Meister, der das Unfertige, Verworrene entwickelt und zur Vollendung bringt, ist in gewissem Sinne abhängig von den Werken
derer, die er übertrifft. In der Regel aber verfällt der Epigone, das lehrt die Kunstgeschichte aller