DIE TECHNISCHE FORMENWELT IN KUNST UND NATUR.


VON PROFESSOR KARL WIDMER—KARLSRUHE.


D


ie moderne Technik hat eine Formenwelt geschaffen, die sich von der des Handwerks im wesentlichen durch zwei Eigenschaften unterscheidet:
einmal die größere Exaktheit der Arbeit, die lrn Gegensatz zu der relativen Unregelmäßigkeit handwerklicher Erzeugnisse eine absolute Eben
mäßigkeit und Regelmäßigkeit der Linien und hlächen aufweist; ferner die größere Knappheit ierEorm, die äußerste Beschränkung des Materialaufwands auf das, was durch den Zweck, die Kon
struktion und die technische Leistungsfähigkeit des Materials bedingt ist, während das Handwerk immer mit einem größeren oder geringeren Überschuß von Stoff arbeitet. — Die handwerkliche Arbeit hatte ihre besonderen künstlerischen Vorzüge, die mit dem Sieg der Technik verloren gehen mußten. Es war der persönlichere Charakter, der durch den Einfluß der lebendigen Menschenhand hineinkam; es war die frischere Materialwirkung, der Erdge
ruch des Stoffes, der noch durch keine Technologie verdorben war; und es war das Schaffen aus dem Vollen, jenes Schwelgen im Material, durch das die kormen den Charakter ihrer fleischigen Fülle bekamen — »süß ist jede Verschwendung«, dieses Wort bezeichnet so recht das Wesen des künst
lerisch handwerklichen Schaffens im Gegensatz zu der materialgeizigen Produktionsweise der Technik. Soviel nun auch unsere heutige Kultur durch die technischen Fortschritte von diesen künstlerischen Qualitäten verloren hat, so unberechtigt war doch die Meinung von dem unbedingt kunstfeind
lichen Wesen der Technik. Die Einsicht hat sich längst Bahn gebrochen, daß auch die mechanische Produktionsweise durch die Maschine einer künst
lerischen Form Veredelung fähig ist. Auch die Exaktheit der Maschinenarbeit, die zweckbetonende Knappheit der Form hat ihre eigene Art von Schönheit, aus der sich ein künstlerisches Äquivalent für die mit dem Flandwerk untergehende Formenwelt ergeben kann. Ja, die von der Kunst ver
pönte Welt der technischen Formen hat schon begonnen, von sich aus auf die Entwicklung des künstlerischen Geschmacks einzuwirken. Auf Grund der von der Maschine geschaffenen Formen weit hat sich ein neues Schönheitsideal entwickelt, dessen wichtigste Repräsentation die Maschine selbst ist. Die Frage ist, wie weit wir in ihr die Anfänge einer neuen künstlerischen Kultur suchen dürfen: wo die von der Technik geschaffene Formenwelt ihre künstlerischen Aufgaben und wo sie die