ARCHITEKT MAX ZÜRCHER IN FLORENZEINGANGSPORTAL Z. VILLA »RIPOSO DEI VESCOVI


KUNSTWERK UND PERSÖNLICHKEIT.




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ls sichtbarer Niederschlag einer diesseitsfrohen Zeit
standen die Tempel Griechenlands in ihrer abgeklärten Schönheit. Die romanischen Kirchen des Mittel
alters trugen die mönchische Gottesfurcht an der Stirne. Aus der verzehrenden Sehnsucht nach der Welt des Göttlichen wuchsen die schlanken Pfeiler und Bogen gotischer Kathedralen empor. Noch heute spricht aus diesen Stilformen die Empfindungswelt vergangener Epochen mit eindringlicher verständlicher Sprache ohne Verlust an innerer Überzeugungskraft. Dürers Apostel, Raphaels Madonnen und Michelangelos Moses sind die Kinder einer gleichen inneren, unvergänglichen Sprache. Sie sind Persönlichkeiten in Stein und Farbe, losge
löst von dem ringenden Ich eines Künstlers, dennoch mit
jeder Faser in ihm wurzelnd und in der Harmonie des Einzelnen die Harmonie des Weltganzen wiederspiegelnd. Das danken sie der freien rückhaltlosen Hin
gabe der Meister, die im künstlerischen Gestaltungsprozeß aus ihrer innersten Persönlichkeit lebendige Werke form
ten, die kraft eigener Bedeutsamkeit das Zeitalter ihrer Erzeuger überdauern und ohne Scheu jeden Vergleich mit den künstlerischen Taten nachfolgender Geschlechter aushalten können. — Die Manifestation der Persön
lichkeit im Kunstwerk ist ebenso alt wie die Kunst selbst. Schon die erste primitive Kunstregung birgt im
Keim jene Anfänge der persönlichen Note, die in der Fortentwicklung der Völker jedes echte Kunstwerk in
mannigfachen Schattierungen belebt, und zum Wertmesser aller Kunst wurde. Das Gegenständliche tritt hinter das Persönliche zurück. Nicht das rührende Motiv einer ver
zweifelten Gretchengestalt erhebt einen ohne weiteres begründeten Anspruch auf Beachtung als wertvolles
Kunstwerk, erst die vom Künstler in der Darstellung zum Ausdruck gebrachten persönlichen Beziehungen zu dem behandelten Gegenstand dürfen als Maßstab für die künstlerische Höhe angesehen werden. Das gilt für Tonund Dichtkunst ebenso wie für die Werke der bildenden Kunst. Nur die Wege der Darstellung führen in die getrennten Welten äußerer Erscheinungsformen. Unabhängig davon leuchtet das getreue Spiegelbild der Per
sönlichkeit aus der Tiefe des künstlerischen Erlebnisses, aus der Art des Schauens und der Wahl der wiedergegebenen Mittel. Sie ist Rhythmus und Seele im darge
stellten Objekt. — Man darf ohne Scheu sagen, daß das persönliche Moment jedes Stadium der künstlerischen Produktion beeinflußt. Es ist das Ziel aller Kunst, das innere Erlebnis des Einzelnen auf die geeignete dauernde Form zu bringen. Von diesem Erlebnis als wirkende Kraft gehen alle Energien aus, die in der Gesamterscheinung des Kunstwerks ihre belebende Tätigkeit entfalten.