PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL IN MÜNCHEN.DIELE IM HAUSE G. TH. PSCHORR — MÜNCHEN. DIE NEUZEITIGE TEKTONIK.
EMAN. V. SEIDL. GRUNDRISS DES HAUSES PSCHORR — MÜNCHEN.
II.
D
ie intimste Materialkenntnis bildet wohl die
Hauptbedingung für die Anpassung der Formen an den Werkstoff. Der Tektoniker muß vor allem wissen, was er dem Material zumuten und welche Formen er daraus ableiten darf. Die sogenannte »Echtheit« des Ma
teriales spielt dagegen in der richtig angewendeten Tektonik nur eine unterge
ordnete Rolle, denn an sich istjeder Stoff echt,
erst Mißbrauch und falsche Formgebung stempeln ihn zum Sur
rogat. So ahmte man z. B.
früher Steinmetz - Arbeiten durch Beton, und Teppiche durch Linoleum nach.
Heute dagegen gelten diese Materialien als durchaus vollwertig, nachdem eben die reifere Erfahrung die naturgemäßen Ausdrucks
formen für diese neuen Werkstoffe gefunden hat. Grobe Materialfälschungen gewissenloser Fabrikanten fallen überhaupt nicht in das Gebiet der Tektonik, sie gehören vielmehr, ebenso wie die Verfälschung der
Nahrungs mittel, vor den Richter. — Die An
passung der Werkformen an die Herstellungsweise erfordert ferner die völlige Vertrautheit mit den tech
nologischen Arbeitsprozessen. Der Tektoniker muß die Vorgänge beim Gießen, Schmieden, Walzen, Prägen, Hobeln, Frä
sen, Spinnen, Weben usw. sowie auch die Vollen
dungsarbeiten genau kennen, wenn er bei seinen Entwürfen eine technisch einwandfreie Formgebung erzielen will. Wie häufig begegnet man doch heute noch