»AM WEG ZUM NEUEN REICHTUM
BETRACHTUNGEN VON PAUL WESTHEIM-BERLIN. Die Askese der glatten Konstruktionsformen
soll also eine Notwendigkeit von gestern gewesen sein; ein dekorativer Reichtum mit Schnitzereien und Stickereien, mit Malerei und Stuckplastik, mit ornamentalen Gebilden aller Art wird von den Leuten, die sichs leisten können, wieder ersehnt. Warum auch nicht? Schönen Zierrat, Fülle und Überfülle zu lieben, kann keine Schande wider den guten Geschmack, kein Verbrechen wider die Kunst sein. Nur der Dogmatiker wird sich darauf versteifen, daß Schönheit etwas ganz Eindeutiges, etwas simpel Kon
struiertes, etwas dürftig Zweckhaftes sein müsse. Wie es Engherzigkeit und brutalste Nötigung wäre, so man das künstlerische Schaffen ein
zwängen wollte in ein paar Prinzipien, kann natürlich auch keine Rede davon sein, daß des Prinzips, der Bewegung, der Stilsorge oder dergleichen äußerlicher Gründe halber dem Raum
künstler oder dem Kunsthandwerker verboten werden müßte, seiner ornamentalen Phantasie und seinem dekorativen Können freien Lauf zu lassen. Was wiederum nicht besagen will, daß es gar keinen Maßstab für das Schmuck- wie das Kunstschaffen gäbe! Sonst müßte ja alles, was
einem so den lieben Tag geboten wird, als bewundernswert angestaunt werden. Der Maßstab für eine künstlerische Leistung kann aber nur aus dem Kunstwerk selbst genommen werden. Gegenüber den Schmuckbestrebungen der Zeit werden wir also mit Begriffen wie Sachlichkeit, Zweckmäßigkeit, Materialgerechtigkeit nicht mehr auskommen. Diese Vokabeln mögen an sich nicht schlecht sein, mögen dem Gestalter, der nichts als den Zweck und die Sachlichkeit wollte, zu schönen Erfolgen verholfen haben. Deshalb
braucht man den anderen Künstler, der über sie hinauslangt zu neuen Möglichkeiten, keineswegs auf sie festzunageln. Er als der schöpferische Geist hat die Freiheit, alte Tafeln zu zertrümmern, wenn
er nur das, was er sagen will, überzeugend ausdrückt, wenn nur seine Neuheit als echtes Kunstwerk die Sinne gefangen nimmt. Die Gefahr ist eben nur die, daß um der Neu
heit, um der »Mode« willen die Dinge falsch eingeschätzt werden. Der Eine, der Ausgezeich
netes schafft innerhalb eines Spielraumes, der plötzlich aufgegeben werden soll, wird mißachtet, obgleich seine Leistungen nach wie vor voll des künstlerischen Esprits bleiben. Der Andere, der