TRADITION UND STIL-WIEDERHOLUNG.
VON HEINRICH STR AUMER - BERLIN.


O


hne Tradition ist eine gedeihliche Weiter
entwicklung in Kunst und Handwerk nicht denkbar. Soll die Kunst ein Ausdruck des Geistes ihrer Zeit sein, so muß der Kunstschaffende wissen, daß der Geist einer Zeit die Konsequenz
einer voraufgegangenen Entwicklung ist. Der Charakter eines Volkes bildet sich in Jahrhun
derten und eine echte Kunst wird nur die sein, welche den Charakter des Volkes wiederspiegelt,
d. h. sie wird auch immer national sein. Wenn deshalb jetzt von einem Wiederaufnehmen des Fadens der Tradition, da, wo er vor der Periode fremder Stilherrschaften abgerissen war, ge
sprochen wird, so kann dies nur mit Befriedigung erfüllen. Die Zeit unserer Großväter mit ihrer schlichten einfachen Bauweise und ihrem echt
bürgerlichen, anheimelnden Hausrat erscheint wohl der Anknüpfung wert. Warum soll auch jene Kunst unserer Väter nicht ebenso Anregung für unser Schaffen geben, wie etwa die Kunst Eng
lands? Es muß im Grunde dem Geschmack des einzelnen überlassen bleiben, wo er seine stärksten Inspirationen erlebt, und es wird nicht ein Mangel sein können, sondern ein Vorzug, wenn eines Künstlers Kraft im Boden des Vaterlandes wurzelt.
Vor allem bedarf auch das Handwerk der Tradition: die Überlieferung der Erfahrung und der Kunstfertigkeit von Werkstatt zu Werkstatt, von Meister zu Meister kann uns allein den Nach
wuchs eines geschulten Handwerkerstandes sichern,
wie wir ihn heute wieder benötigen. — Aber was hat das mit gedankenlosem Kopieren zu tun? Das gesamte Leben der Neuzeit hat neue Bedingungen geschaffen und dem Handwerk sind Maschinen, Techniken und Werkzeuge zur Seite getreten, die notwendigerweise den Gegenständen einen andern Ausdruck und andere Formen geben müssen. Das gesamte Leben unserer Zeit hat seine Energie verdoppelt und es entspricht einer folge
richtigen Entwicklung, wenn die neuzeitlichen Formen einen Ausdruck dieser gesteigerten Ener
gie enthalten. Die Freude am selbständigen Schaffen ist dem Künstler Lebenszweck und
nur der Schwächling wird einen Weg betreten, der zurück führt und auf dem es keine gedeihliche Fortentwicklung gibt. — Eine gesunde Tradition kann nie mit bloßer Stilwiederho
lung identisch sein! . . . Die alten Stile waren
gut, aber ihre Wiederholung wirkt tötlich ....
»Historische Stile zu kopieren ist unhistorisch. >> h. s.