DAS NEUE STADTHAUS IN BERLIN


ERBAUT VON GEH. BAURAT LUDWIG HOFFMANN


I


n der Vorrede seiner Unterweisung der Messung
mit Zirkel und Richtscheidt sagt Albrecht Dürer: »Gar leychtiglich verlieren sich die Künst, aber schwerlich und durch lange Zeyt werden sie wieder erfunden«, und er glaubt deshalb die Grundlagen des exakten architektonischen Wissens seiner Zeit wieder vor Augen führen zu müssen, seiner Zeit, die in einer Gährung begriffen war, in der sich die Probleme verschoben, die sich anschickte, die alten ererbten Formen und ihre Fesseln abzustreifen, um auf einer neuen Basis eine neue Kultur aufzubauen. Die Warnung, die diesem großen Künstler damals notwendig er
schien, könnten wir mit noch viel tieferem Ernst auch unserer Zeit zurufen. Auch bei uns haben sich in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahr
hunderts die Probleme verschoben; eine neue soziale Ordnung ist heraufgewachsen und mit ihr sind Aufgaben entstanden, die unser ganzes Leben von Grund auf umgestalten. Und von diesen
tiefgehenden Änderungen sind auch die Künstler betroffen; sie sind ja nur Glieder der Gesamt
heit und bedeuten nur etwas, wenn sie in dieser Gesamtheit wirken. Vor allen andern ist der Architekt in seiner Kunst von dem ihn umfluten
den Leben abhängig. Seine Kunst hat sich nach vielen Faktoren zu richten und nicht zum min
desten ist der Auftraggeber, die vorhandenen Geldmittel und die jeweilige Geschmacksrichtung für sie bestimmend. In Zeiten einer gefestigten Kultur bedeutet nun dieser Geschmack etwas Konstantes, er ist dann der Ausdruck der ganzen Kultur, das was man eben Stil nennt. Je un
sicherer aber die Grundlagen werden, je mehr an Stelle der Gesamtheit der Einzelne tritt, umso größer ist die Gefahr, daß der Geschmack zur Mode wird, daß sich Richtungen in schneller Folge ablösen und daß man heute verurteilt, was gestern noch in großem Ansehen stand; und diese Unsicherheit hat das Streben nach Extravaganz
leicht im Gefolge; an die Stelle einer langsamen, zielbewußten Entwicklung tritt eine Reihe von individuellen Richtungen, die je nach den zeit
weiligen Beschäftigungen alle Stile durchlaufen, bald nach der Antike, der frühchristlichen Kunst, der Zeit um 1800 greifen, den Gegenpolen un
serer eigenen unruhigen Zeit. Bei allen diesen Versuchen ist der ehrliche Wille vorhanden, das Beste zu schaffen und aus dem Geist der Gegenwart heraus ebenfalls Werke erstehen zu lassen,