Michelangelo - Der Zerstörer des Raumes.


Beitrag zur Entwicklungs-Geschichte der Innen-Dekoration von Robert Breuer. (Schluß.)


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isher hatte man die Decke für den Architekturteil ge
halten, der am wenigsten ein Recht auf Selbständigkeit hätte; sie wurde am seltensten von den Augen ge
troffen, cs war unbequem, sie aufmerksam zu betrachten. Ein schnell hinaufgesandter, über die Decke hingleitender Blick sollte genügen, um sie in ihrer Ganzheit zu er
fassen und ihren dekorativen Klang den näher tönenden Akkorden der Wände und deren Dekorationen, der Fenster, des Fußbodens, der Möbel, der Altäre, der Sängertribünen zu verbinden. So hatte man die Decke zu allen Zeiten in möglichst einheitlicher Weise dekoriert. Man teilte sie in regelmäßige Felder, wozu sowohl die Balkenlagen der aus der Antike herüber gekommenen Holzdecke, als auch die bei dem steinernen Gewölbe sich ergebenden Rippen konstruktiv anleiteten; man bemalte und vergoldete die Balken und schmückte sic mit Schnitzereien, man ordnete Rippen wie auch Balken zu geometrischen, zu rhythmischen Figuren. Man füllte die einzelnen Felder mit Malerei, Holzwerk und Stucco. Die spätere Renaissance gestaltete wohl die Kassetten,
besonders die plastischen, reich und prachtvoll, aber die dekorative Tendenz änderte sich nicht: die Decke sollte als ein einiger Ton. empfunden werden, sie sollte nicht ablenken, sondern sammeln. Wenn sie in Gold strahlte, so sollte das Leuchten den Raum erfüllen. Mit der quattrozentistischen Decke der Sixtinischen Kapelle wurde nicht etwa ein naturalistischer Effekt
beabsichtigt (wenn auch der Volksmund il cielo sagte)
ein ruhiges, neutrales, einheitliches Sein soll den Raum abschließen. Die Decke des Michelangelo ist aber kein Sein, sondern ein Geschehen! Ein lautes, gigantisches Geschehen, das herrisch die Aufmerksamkeit auf sich reißt. — Das Groß
artige und Übermenschliche läßt uns bei dem Werke des Michelangelo nicht voll erkennen, wie grundsätzlich diese absolute Mißachtung der Fläche gegen die tra
ditionellen Prinzipien der Raumkunst verstößt. Indessen mangelt es nicht an gleichzeitigen Wandmalereien, die uns diese Einsicht leicht machen. In den Loggien des Palazzo Doria (Genua 1530) sehen wir ganze Reihen plastisch gemalter Helden, die gerade aus der Mauer heraussteigen wollen. In den von Stuckkanten ge
rahmten Kappen sind naturalistisch behandelte Szenen untergebracht; aus den Zwickeln lösen sich wiederum plastisch gemalte Figuren. Die Wände laufen stückweise davon.
Michelangelo sprengt die Fläche wie den Raum durch die Schöpfung eines Heeres von Menschen, das mit unwiderstehlicher Gewalt alle dogmatischen Forderungen der architektonischen Dekoration zur Seite stößt. Während die sixtinische Decke den Zustand des vollzogenen Sieges darstellt, zeigt die mediceische
Grabkapelle das Gegeneinanderringen von Körper- und Bauteil. Der Kampf wird ehrlich geführt: hie Bau