ARCHITEKT RICHARD HIRSCHL — PRAG. AUSFÜHRUNG: KAIS. KGL. HOF-MÖBELFABRIK HEINRICH RÖHRS — PRAG.
Blick in das Speise-Zimmer. Jubiläums-Ausstellung Prag.
Wand rekeln sich ungeheure Gestalten, ihre Masse läßt das Gesims verschwinden, ihre sich wälzenden Glieder lassen Decke und Wand wie Wellen aneinander schwanken. Diese durch ihre zahllosen Richtungsachsen wie Explosionskörper wirkenden Stuccofiguren, die Wappen
halter, Putten und Genien, stürzen an allen möglichen
und unmöglichen Stellen aus der Mauer heraus, sie kleben an den Wänden, sie hocken über den Türen, sie turnen an den sich biegenden und rollenden Ge
simsen, an den sich wälzenden Kartuschen, sie tummeln sich zwischen den Malereien.[*)] — Und dann beginnen die Wände selbst sich zu bewegen, als wären sie nicht aus Steinen errichtet, sondern aus Stucco geformt. Das Material ist weich geworden; und wo wirklich noch
[*)] Das gilt auch für die Außenarchitektur; auch hier rekeln sich weiche Leiber auf vorgekröpften Gesimsen, oder sie kleben tangential an der Wand, über den Toreingängen. Oder sie liegen gelagert auf gegeneinander strebenden Halb
bögen, die die Fenster überspannen. Als Karyatiden, einzeln oder in Bündeln zusammengestellt, leisten sie Trägerdienste; sie tun dies unwillig, sie winden sich unter der Last — am liebsten möchten sie gleich den Kandelabermännern,
die auf der Rampe der Treppe stehen, davonlaufen. — Wer nicht weit reisen will und Musterbeispiele solcher Architektur sehen möchte, der wandere durch die Straßen von Berlin nach »70«; freilich: nur die Unarten und Brutalitäten des Barock wird er finden. Das geistige Band, das den italienischen Barock zur Kunst
höhe eines Stils eihebt , haben die neupreußischen Bäcker nie begriffen. Am tollsten wütete die Barockpest an dem neuen Dom. Man braucht nur in der Grab
kapelle die fetten Himmelsknaben zu sehen, die an der Wand kleben und mit den Zehen schnalzen — und man hat die »Grundidee« dieses malheureusen Kolosses, dieser Spottgeburt aus St. Peter und protestantischem Hofprediger.
aber jede Disziplin des Willens ist verloren gegangen. Das Gesetz wird mißachtet, das Material vergewaltigt.
Diese Künstler dünken sich Übermenschen; aber da ihnen die Logik verloren gegangen ist, da sie nicht mit dem Hirn, nur mit den Muskeln arbeiten, so sind sie nichts als Athleten. Was kümmert sie Raum, was kümmert sie Wand ! War für Michelangelo der Mensch
das allein würdige Motiv der Kunst, so möchten die Matadore des Barock am liebsten das Gebäude selbst aus Menschenleibern errichten. Konnte man von der romanischen und gotischen Architektur des Nordens sagen, sie wirke in ihrer konstruktiven Präzision, durch
ihre scharf winkelnden Mauern und hart auseinander stoßenden Bauglieder — plastisch, so muß man jetzt mit Schrecken sehen, wie die Architektur, die die Plastik nicht mehr als Schmuck, sondern als ein Kon
struktionsmittel benutzt, flüssig wird. Jetzt gibt es keine Trennung der Glieder mehr; alles fließt zusammen. »Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Übergang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwingung und Unterbrechung; die Stucco
figuren, welche aus ihrem Laubwerk hervorkommen, werden in die am Gewölbe gemalte Handlung gleichsam mit hineingezogen« (Burckhardt). Zwischen Decke und