ARCHITEKT RICHARD HIRSCHL - PRAG. AUSFÜHRUNG: KAIS. KGL. HOF-MÖBELFABRIK HEINRICH RÖHRS — PRAG.


Kaminpartie aus dem Herrenzimmer.


Jubiläums - Ausstellung Prag 19o8.


eine steife Sauce über eine Architektur gegossen, die ihrer Struktur nach einem Pudding nicht unähnlich; jetzt will der Schatten wie eine Realität ge




achtet werden. Und dieser Anspruch ist schließlich nicht ganz sinnlos; das Baumaterial wird geknetet, gezerrt und gequetscht, als sei es gleich dem Schatten — wesenlos. Hierher gehört die »wüste Missform der Capella del Sudario




an der Kathedrale von Turin« (Burckhardt), nicht minder die 1604 erbaute große Capella Medicea bei S. Lorenzo. »Der Barock bedeutet eine Rückbildung zu einem formlosen Zustand« (Wölfflin).




Aus dieser Barbarei übermenschlicher Virtuosität und protzender Brutalität wird die Architektur und damit die Innendekoration durch die feingeistige Materialmeisterung des Rokoko erlöst.[*)]




präzise Formen hervorstoßen, da werden sie von einem überaus absonderlichen Architekturteil verschlungen :




von dem Schatten.[*)] — Als auflockerndes Mittel, etwa zwischen den Rippen einer Muschel webend, oder in einem Akanthuskapitäl spielend, oder eine Nische er




füllend, gehörte der Schatten seit langem in das architektonische Kalkül ; ein diskretes, musikalisches Mittel,




das den straffen Aufbau nicht gefährdete, nur einige Akzente hergab. Jetzt aber wurde der Schatten wie


[*)] Diese Erlösungstendenz des Rokoko offenbart sich schon an den Bauten der Übergangszeit. Hierfür ist ein schönes Beispiel der 1711 — 22 von Pöppelmann erbaute Zwinger zu Dresden. Und nirgends spürt man dies deutlicher, als oben, auf dem Zwingerwall, wenn man an der geschweiften Balustrade des Daches steht und in den Zwingerhof hineinsieht. Die Mauern scheinen im heiteren Spiel durch
einander zu fließen, die Türme scheinen zu tanzen, scheinen groteske Tänzer, die unter ihren hellgrünen Patinahüten gewagte Schelmereien bergen. Wie ein Geläut und melodiöses Saitenschwingen schwebt es über dieser Architektur. Die Pfeiler stehen im Schmucke der Guirlanden halb repräsentativ und halb im Menuettschritt gegeneinander, die Figuren ringsum freuen sich ihres nackten Lebens. Die Stufen fließen wie Wasserströme weich und wohlig in den gezirkelten Plan . . . Genau
[*)] Auch für die Außenarchitektur ist der Schatten ein wichtiger Faktor geworden. Über die senkrechte Ebene des quattrocentistischen Baues glitt das Licht, ohne wesentlichen Widerstand zu finden. Je bewegter die Fassade wurde, je tiefer sie ein- und ausbuchtete , je üppiger das Ornament der Fläche entquoll, desto mehr Sammelpunkte gab es für das Licht, desto mehr Gelegenheit zum Schattenspiel. Die Säulenstellungen, die gequetschten Pfeilerbündel, die aufund abschwingenden Gesimse, die mächtigen Voluten — das alles häuft die Schatten. Das Verdecken bestimmter Architekturteile durch andere gehört gleich
falls hierher. In der Vorhalle der Laurenziana treten die Säulen nicht aus der Fläche der Wand heraus, sondern bleiben zu zweien in Vertiefungen stecken (Wölfflin). Vom Fenstersturz hängen faltige Draperien aus Stuck
herab, allenthalben findet sich Rollwerk. Die Tendenz zum Malerischen, zur Bewegung, die der Plastik ihren Charakter gibt, hat auch die Baukunst sich
unterworfen: das Gebäude soll in sich selbst wogen, die einzelnen Teile sollen fortfließen und doch zum Zentrum strömen. Alle Keime dieser Entwicklung liegen bereits bei Michelangelo. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nie der konstruktive Organismus, sondern das große Gegeneinanderwirken von Lichtund Schattenmassen, von einwärts- und auswärtsstrebenden Partien, von oberen und unteren , mittleren und flankierenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Großen rechnende Komponist. Vom Detail versteht er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, daß dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravourarchitekten zur Entschuldigung dienen konnte« (Burckhardt).