UEBER KUNST UND KULTUR.


EIN RÜCK- UND AUSBLICK VON PROFESSOR DR. ERNST ZIMMERMANN—DRESDEN.


S


eltsam! als man uns jetzt eine neue Kunst hat
schaffen wollen, wie wenig hat man da bedacht, daß Kunst auch Kultur ist, daß die Kunst einer jeden Zeit auch immer der Ausdruck der Kultur und Gesittung dieser Zeit gewesen, daß sie gänzlich Hand in Hand ging mit der gesamten Lebens Verfeinerung derselben, und daß sie dies auch weiter tun mußte, wofern sie sich wirklich in die Lebensgewohnheiten der Menschen einnisten, ja mit ihnen ganz verwachsen wollte. Wer die Ge
schichte der Entwicklung der Kunst mit der der Menschheit zugleich verfolgt, der wird beständig in ihr die wunderbarsten Übereinstimmungen, die vollkommensten Harmonien in dieser Beziehung erblicken, der wird erkennen, wie beide stets genau dieselben Entwicklungen durchgemacht haben, genau zu denselben Zielen gelangt sind.
Wo sich ein Anfang einer Kultur darbietet, wo alles noch in einfacheren, derberen, ungekünstelten Lebensgewohnheiten sich bewegt, da wird auch die Kunst noch einfach, herb oder derb und ungekünstelt erscheinen: sie wird noch das Zunächst
liegende, das, worauf die menschliche Phantasie in ihrem Schaffensdrang zuerst verfallen muß, zeigen; dies alles aber in voller Schlichtheit, noch ohne
Raffinement, aber dafür voller Kraft und Größe, als ein wuchtiger, geschlossener Effekt. Eine solche Zeit war z. B. bei uns die der Romanik, bei den Chinesen die vor Christi Geburt, im Altertum die vor dem Aufkommen der Griechen: überall damals noch einfache, ungebrochene Lebensverhältnisse, ohne Verweichlichung und Verzärtelung und dem
nach auch überall eine Kunst, die uns heute so einfach und schlicht und groß erscheint, daß wir sie garnicht anders denn als Monumentalkunst bezeichnen können, und die wir darum immer ge
treulich nachzuahmen pflegen, sobald wir späten Epigonen auch einmal bei Bedarf wieder so recht »monumental« werden wollen.
Und dann vergleiche man im Gegensatz dazu, nach so und so viel Zwischenstufen, in denen durch die fortgesetzte Arbeit von Generationen über Generationen sich ständig Kultur auf Kultur häuft und sich zu immer größerer Verfeinerung und Kom
pliziertheit ausbildet, was schließlich aus der Kultur im Zeitalter des Rokokos, dem in jeder Beziehung raffiniertesten, das wir bisher gehabt haben, ge
worden und mit ihm aus der Kunst, die dieses hervorgebracht. Denn dies ist die Zeit, da die Gesittung, die Kultur bereits soweit gerückt ist,