LEOPOLD STOLBA
MELPOMENE
Frühjahrsausstellung der Wiener Secession
DIE FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG DER WIENER SECESSION
Von Karl M. Kuzmany Eigentlich sollte ohne nähere Bezeichnung,
schlechthin von ihrer Ausstellung gesprochen werden, denn nicht deren drei hat die „Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs“
heuer veranstaltet, wie sonst in jedem ihrer zehn Jahrgänge, sondern nur diese einzige. Die eine Hauptaufgabe, Wien mit den be
deutendsten Werken fremdländischer Künstler bekannt zu machen, hat sich eben als einst
weilen erschöpft gezeigt; wenn man fürderhin wieder darauf zurückgreift, wird man dem
selben Grundsatz einer engen Auslese, der jetzt maßgebend war, zu folgen haben. Eine Inschrift in der Eingangshalle besagt, daß die Ausstellung dem Kaiser, anläßlich der Feier seiner sechzigjährigen Regierung, elf Jahre
nach dem Tage, da die Vereinigung gegründet wurde, zugeeignet ist. Darum hat man aus
schließlich Oesterreicher und ihre Arbeiten in besonders strenger Wahl aufgeboten, darum auch hat man das Haus festlich erneuert. Aber
auch durch diese Ausstellung wird der Beweis erbracht, daß der Kampf um die künst
lerische Meinungsäußerung in verschiedenen Richtungen noch fortdauert, und daß die Mo
numentalmalerei immer noch zögert, nach
den Problemen, wie sie Massenaufzüge auf der Straße oder das Treiben in Seehäfen und anderen Stätten der regen Tatkraft dar
bieten, als nach miterlebten Zeugnissen der Epoche zu greifen. Der Realismus findet bei
kleineren Naturausschnitten sein Genügen, die Landschaft allein weitet ihm das Herz. Seitab
führen solche Erwägungen, während man doch, just im vorliegenden Falle, vielen ohne Vor
behalt tadellosen Gemälden begegnet und gar bei den Bildhauern alle Wünsche aufs schönste erfüllt sieht.
Tafelbilder, sei es welchen Umfanges und welcher Farbenstimmung immer, sind leichter zu günstiger Wirkung zu bringen als Skulpturen, zumal wenn sie in kolossalischer Größe