VINCENT VAN GOGHSELBSTBILDNIS
VINCENT VAN GOGH*)
(1853—1890)
Von Albert Dreyfus
,,Die Einfalt hat es ausgesät,
»Die Schwermut hat hindurchgeweht, ,,Die Sehnsucht hat’s getrieben.“
Clemens Brentano


A


n unserem Sternenhimmel geschieht zu
weilen Staunenerregendes: infolge eines Zusammenstoßes oder einer Eruption flammt plötzlich ein neuer Stern auf und betört mit dem unerhörten Glanz kataklystischer Verbrennungsprozesse die Augen der Erdbewohner. Die zünftigen Gelehrten, bange um ihre Welt
ordnung, suchen zu errechnen, ob der Neuling den Lauf anderer Sterne stört oder sich nach ihnen regelt, der Bürger aber gibt sich um so mehr der Bewunderung hin, als er erfährt, ihm selbst kann das Geschehnis nichts an
haben, es ist geraume Zeit vorüber, ehe die Kunde davon seine Netzhaut trifft. Es wird nur eine Enttäuschung für ihn sein, wenn das Leuchten am Himmel wieder langsam
abnimmt, von dem Flammenwunder zuletzt nichts übrig bleibt als ein Stern wie mancher andere.
Was da gesehen ward, ein Stern immerhin und kein Meteor.
Aehnlich mutet das Schicksal van Goghs an, ähnlich die Faszination, die seit ein paar Jahren von seinem Namen ausgeht.
Ist diese Faszination auch noch so begreiflich, die Frage ist die, ist der Einfluß, den van Gogh auf die junge Malergeneration ausübt, ein günstiger, kann er ihr in den Wirrungen unserer Epoche ein Führer sein? Es ist
Die Kunst für Alle XXIX. 5. 1. Dezember 1913
*) Siehe hierzu auch die Abbildungen in Jahrgang 1909/10
Januar-Heft, Jahrgang 1912/13 November- und Juli-Heft.