eine brennende Frage, und ich suche sie zu beantworten.
Man muß sich bei van Gogh er
innern, daß erst der posthume Reiz seiner Persönlich
keit den Erfolg seiner Kunst be
stimmte. Auf dem Umweg seines Briefwechsels, ei
ner literarischen Reliquie, wurde man auf seine Bilder aufmerksam.
Kein Land eignet sich zu einer solchen Verkeh
rung mehr wie Deutschland, wo
man gewohnt ist, einem erst in das Herz und dann auf das Handwerk zu schauen. In Frank
reich hält man sich mit unbestechli
chem Intellekt an das Werk selbst, dann erst an seine „menschlich — allzumenschlichen“ Begleitumstände. Darum blieb dort die Veröffent
lichung von Vincents Briefen, ein gutes Jahrzehnt vor der in Deutschland, so gut wie un
beachtet, denn seine Bilder waren damals kaum gekannt und noch weniger verstanden. Hier
zulande aber wirkten die Briefe sofort wie eine große Verführung.
Es war das Blutsverwandte, was die Deutschen so sehr an diesem Holländer ansprach: sein kindlich lauterer Sinn, die mystische Hingabe an sein Werk, das Ringen um die Form bei allem Maßlosen seiner Träume, das Deutsch- Romantische seines Wesens. — Viel näher als ein Delacroix, dessen schweifende Phantasie immer von einem erlesenen Geschmack ge
zügelt wird, stehen ihm deutsche Romantiker wie Novalis, Brentano, Hölderlin, Nietzsche, bei denen die Maßlosigkeit der Träume die körperliche Existenz selbst bedroht oder in Trümmer schlägt. „Je kränker ich werde, desto mehr Künstler werde ich“, schreibt er. Es ist dasromantische Glaubensbekenntnis. Fieber und Zerstörung wecken die tiefsten schöpferischen Instinkte. Wie für Novalis sind auch für van Gogh „Schicksal und Gemüt: Namen eines
samkeit nach rreunden. Bei beiden ein ähnlich schneller Verbrauch von Kräften, äußerste Aufpeitschung, äußerste Forcierung der Ausdrucksmittel, mit dem so ergreifenden Endzweck, endlich Ohr und Auge der Menschen zu rühren.
Das ganze Leben van Goghs ist beherrscht von dem uneigennützigen Trieb, anderen zu nützen, anderen Freude zu machen. Er beginnt als Angestellter einer Pariser Kunst
handlung. Die Usancen des Bilderhandels empörten ihn, er mußte diesen Beruf auf
geben. Mochte er nun in England armen Kindern Unterricht erteilen oder im Borinage Grubenarbeitern das Gotteswort auslegen, immer leitet ihn das Bedürfnis, im Zusammen
sein mit anderen Wärme zu verbreiten, Wärme zu empfinden. Er griff schließlich zur Kunst, weil ihm diese Tätigkeit am geeignetsten schien, zu diesem Ziel zu gelangen. „Die Malerei sollte man betreiben als eine Kunst, die ge
peinigten Herzen Trost spendet“, schreibt er an Gauguin. Für ihn selbst aber bedeutet dieser Weg zum Menschen zu finden ein ununterbrochenes Martyrium, und es ist keine Pose, wenn er diesen gleichen Brief mit dem alten Christussymbol, dem Bild eines Fisches und den Buchstaben ICTUS unterzeichnet.
Begriffes“; man sehe sich einen Sonnenblumen
strauß Vincents an mit den fast tierhaft lebendi
gen Kelchen (Abb. neben) und erin
nere sich, wie der Dichterdes„Heinrich von Ofterdingen“ die Pflanzenwelt empfin
det: „Man möchte für Freuden wei
nen und abgeson
dert von der Welt nur seine Hände und Füße in die Erde stecken, um Wurzeln zu trei
ben und nie diese glückliche Nachbarschaft zu ver
lassen.“ Und wie Nietzsche ist van Gogh mit seinen Bestrebungenvereinsamt und un
verstanden und ruftausseinerEin
VINCENT VAN GOGHSONNENBLUMEN