Instinkten entsprachen; endlich das explosive Schaffen, das fieberhafte, schier konvulsivische Ausstößen von Hunderten von Werken in Arles, in St. Remy, in Auvers sur Oise, innerhalb der kurzen Spanne Zeit vom Febr. 1888 bis zum Tag seines Selbstmords im Juli 1890.
Einer, der zu seinem Künstlerberuf erst mit 28, 29 Jahren kommt, hat es schwerer wie andere Künstler. Seine geistige Auf
fassung ist seiner manuellen Geschicklichkeit immer um einiges voraus: bei van Gogh ist dies bis in seine reife Zeit hinein festzustellen; es ist wahrscheinlich, daß manches Krampf
hafte in seiner Malweise auf diese Störung des Gleichgewichts zurückzuführen ist. An
dererseits hat bei ihm die Abwesenheit aller „Tricks“, womit die jungen Kunstschüler sich in den Akademien infizieren, einen besonderen Reiz. Nur darf man van Gogh keinen Primitiven nennen. Das Linkische eines Primi
tiven, der, ohne zureichende Ausdrucksmittel
an der Hand zu haben, zum ersten Male mit innerer Bewegung Sinn und Gestalt eines Gegenstands wiederzugeben sucht, ist nicht zu verwechseln mit den hektischen Abkür
zungen und Vergreifungen van Goghs aus dem leidenschaftlichen Drang heraus, über
lieferte Ausdrucksmittel zu steigern, sich ihrer wie Bomben zu bedienen.
Van Gogh beginnt als Schüler Mauves im Haag. Die holländische Tradition, das tonige Malen, scheint er gleich seinem Lehrer fortsetzen zu wollen. Zugleich wirken seine Bil
der aus dieser Zeit wie eine Rekapitulation der Kunst seiner großen Vorfahren, eines Franz Hals, Rembrandt, Breughel. Er malt braune, saucige Stilleben, bei denen die Farbwerte aus dem Hintergrund heraus entwickelt er
scheinen; später kann er beide nicht genug voneinander trennen. Das imposanteste Bild aus dieser Zeit „Die Kartoffelesser“ zeigt, daß es ihm weniger um malerische Probleme als um die Beherrschung einer bestimmten geistigen Atmosphäre zu tun ist; der ingrimmige Humor Breughels, die Armeleute
malerei Israels, die Schilderungen Zolas sind ihm nicht fremd. Bei allen Vorzügen der Malerei: vangoghisch an diesem Bild ist nur eine gewisse Eckigkeit, das holzschnittartige seiner Zeichnung. Noch sucht er den Gegenstand zu erschöpfen, nicht sich selbst; er ar
beitet eine genrehafte Handlung durch, indessen sich später Empfinden und Schauen in blitzartiger Intuition, in lyrischer Ekstase vermischen.
Es ist die Zeit, wo er, seiner noch ungewiß, sich einbildet als Illustrator sein Brot ver
dienen zu können. Dieser Irrtum führt ihn zu seltsamen Entgleisungen, wie zu der Zeich
nung „Sorrow“, einem kauernden Frauenakt, bei der das Gefühl alles, die Form nichts bedeutet, wie schon die Unterschrift bezeugt: „Wie geschieht es, daß es auf Erden ein Weib gibt, einsam, verlassen (Michelet)“. Seine Landschaftszeichnungen aus der Nuener Zeit (um 1885) haben bei allem Gefühl schon mehr Form; die sich windenden und aufreckenden Weiden und kahlen Bäume darauf
— noch ist das Kahle das Ausdrucksvollere für ihn! — lassen die späteren Arbeiten ahnen; aber die feuchte holländische Luft liegt noch wie Blei auf ihnen.
Kommt van Gogh in Holland über etwas Stockendes in seinem Vortrag nicht hinaus,
— in Paris fand er das Wasser, das seine
Mühle trieb. Hier erhält er die Lehrmeister die er braucht.
Von Daumier lernt er, daß willkürliche Proportionen ein Bild nicht schlecht machen, wenn eine starke innere Bewegung sie er
fordert. Delacroix’ Ansicht von der Malerei bestärkt die seine: ein Bild soll vor allem
ein Fest für die Augen sein, und dies ist nur durch farbige Wirkung möglich. Das Pathos der Milletschen Bauern mit ihrem unsichtbaren Heiligenschein packt ihn und läßt ihn ähnliche Themen behandeln.
Vor allem aber erwacht er an Japan und den Impressionisten. Von Japan lernt er den großzügigen Ausschnitt, der dem Bild die dekorative Wirkung sichert, und die be
schränkende Auswahl der Farben, die seiner zufassenden Art mehr entsprach als das be
dächtige Modellieren in Tonwerten. Unter den Impressionisten ward Pissarro sein Lehrer. Pissarro wird zurzeit ungerechterweise hintan
gesetzt; er war eine umfassende, nie auf eine Formel eingeschworene Persönlichkeit, und zu seinem Ruhm sollte schon genügen, daß so verschiedenartige Künstler wie van Gogh, Gauguin, Seurat, Cezanne von ihm ihren Aus
gang nahmen. Er weihte van Gogh in die Technik des flimmernden, alles Gegenständliche sich unterjochenden Lichtes ein; erst durch
diese Malweise wurde sein Temperament so selbstherrlich frei.
Eine Zeitlang geht van Gogh auf Seurats neoimpressionistische Bestrebungen ein. Noch in Arles möchte er so malen wie Seurat; ihn mußte frappieren, daß bei aller auf wissen
schaftlicher Grundlage fußenden Zerlegung des Lichts in farbige Partikeln sich eine so ein
fache großzügige Bildwirkung erzielen ließ; sie war begründet in Seurats Geduld und innerer Ruhe; van Gogh, dem gerade diese Eigenschaf
ten fehlten, konnte einen solchen Weg nicht einschlagen.