LUDWIG WILLROIDER †GEWITTERSTIMMUNG AUF DER HEIDE
Münchner Glaspalast 1910
DIE MÜNCHNER JAHRESAUSSTELLUNG 1910
IM KGL. GLASPALAST


W


er seit langen Jahren die Ausstellungen
der Münchner „Secession“ und die Ausstellungen des Münchner Glaspalastes miteinan
der vergleicht, dem wird die Erscheinung nicht entgangen sein, daß die anfänglich so schroffen und programmatisch betonten Gegensätze zwi
schen den feindlichen Brüdern mit jedem Jahre blasser und sanfter wurden. Heute hängt in dem Hause am Königsplatz manches Bild, das eben
sogut im Glaspalast ausgestellt werden könnte, und mancher „Genossenschaftler“ äußert eine künstlerische Konfession, die ihn secessionsreif erscheinen läßt. Gründe: Der revolutionäre Charakter der „Secession“, der so wunder
volle Blasen emporgetrieben ,ist verrauscht, und die Leute vom Glaspalast haben es ganz all
mählich, ganz in der Stille mit einer inneren Reformation an Haupt und Gliedern versucht.
Was die Ausstellung der „Sezession“ vor der des Glaspalastes, das heißt der Münchner Künstlergenossenschaft und ihrer Gäste, vor
aus hat, ist die räumliche Beschränkung: bei der Kunst wird nämlich Beschränkung allemal zum Segen. Und zwar für alle Beteiligten, für die Produktiven so gut als für die Rezeptiven ; für die einen, weil sie mehr auf Quali
tät hinarbeiten müssen, um ein Recht zu haben, in einen sehr ausgewählten Kreis aufgenommen zu werden, für die anderen, weil ihre Auf
nahmsfähigkeit nicht durch eine übertriebene Quantität überspannt wird : ich habe mehr davon, wenn ich mir mit einiger Muße zweihundert Bilder ansehe als in Eile zweitausend.
Man kann eben die buntwechselnden unzähligen Eindrücke einer Riesenausstellung wie der des Glaspalasts nur schwer verarbeiten.
Die Kunst für Alle XXV, 23. I. September 1910