Und doch wäre das in Wahrheit das Ausstellungsideal: nur so viel zu zeigen, daß man es bei einem einmaligen Besuch mit Muße auf
nehmen und sich einkörpern kann. Man hat solche selbstverständlichen Weisheiten natürlich auch an der leitenden Stelle des Münchner Glas
palastes längst erkannt, und arbeitet auch in diesem Sinne mit Erfolg. Heuer z. B. hat man die Summe der ausgestellten Werke glücklich auf zweitausend herabgedrückt, nachdem man früher oft nahezu dreitausend gezeigt hatte. Das ist erfreulich, und der Ausstellungsleitung gebührt dafür der Dank aller Kunstfreunde, die lieber viel als vieles sehen wollen. Man konnte auf diese Weise in diesem Jahr auch viel lockerer und fast durchwegs einreihig hängen, eine Erscheinung, die, zusammen mit dem gänzlichen Fehlen der „Scholle“, das Hervorstechende der heurigen Jahresausstellung ist.
Ein Gesamturteil? Nein. Nur ein paar Feststellungen : Direkt schlechte Sachen, wie sie uns früher zuweilen im Glaspalast begegneten, sucht man heuer vergebens. Es ist eine un
erbittliche Grenze gezogen worden. Nach unten hin natürlich. Nach oben hin bedarf es auch im Glaspalast der Grenzabsteckung nicht. Es ist auch hier dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen ....
Da stehen obenan fünf Kollektivausstellungen, verschieden an Umfang, verschieden an künst
lerischem Gewicht. Das System der „Mostra individuale“, das seit Jahren im Glaspalast Platz greift, und das namentlich Tode zu ehren bestrebt ist, müßte eigentlich der Ausstellungsleitung zeigen, auf welche Weise eine Reor
ganisation des Ausstellungswesens möglich ist. ln Venedig, dessen Ausstellungen sich des lebhaftesten Zuspruchserfreuen, sind die Kollek
tivausstellungen durchaus die Hauptsache ge
worden, die „gemischten Säle“ treten daneben zurück. Freilich, ich weiß: Die Künstler stellen im Glaspalast nicht nur aus, um zu paradieren, sondern sie wollen auch verkaufen, und nimmt man ihnen mit Kollektionen allen Platz weg, ihre Bilder aufzuhängen, so hat das Verkaufen schnell sein Ende. Das ist natürlich bedenk
LUDWIG DILL
Münchner Glaspalast 1910
FÖHNSTIMMUNG