ADOLF HENGELER
KÜNSTLERHAUS-VEREIN 1907 DIE KUNST IM DIENSTE DER GESELLIGKEIT
Von Wilhelm Michel Von jeher haben’s Kunst und Geselligkeit
gerne miteinander zu tun gehabt. Hätte man schon in alten Zeiten unsere heutige Trennung von freier und angewandter Kunst gekannt — wer weiß, ob uns dann nicht neben den Namen großer Künstler die Namen großer und gesuchter Festordner und Dekorateure erhalten geblieben wären. Historisch ist es jedenfalls, daß in Renaissancezeiten
sehr oft große und berühmte Künstler als Arrangeure von Festen und Festzügen auf
traten. Den vorhandenen Nachrichten zufolge ward hier von den Künstlern sogar noch kostspieliger und großzügiger gearbeitet als heutzutage, da man neuerdings die Kunst bei festlichen Gelegenheiten zu Hilfe zu rufen pflegt.
Das 19. Jahrhundert, das an Rückschritten
so reiche Jahrhundert des Fortschrittes, hatte es verlernt, Geselligkeit mit Kunst zu verbinden. Man braucht nur an die Straßendekorationen älterer Observanz zu denken. Da gab es Fahnen, Girlanden, Teppiche, allenfalls Tannenreiser, und mit diesem Material
wirtschaftete jeder Hauseigentümer so gut und so — miserabel, als er es eben verstand.
Dagegen die Münchner Leistungen beim Schützenfest und beim Kaiserbesuch! Wahre Marksteine und Wendepunktein der Geschichte der Feste! Und warum? Weil man den Künst
lern Initiative und Durchführung überließ. Ein Eindruck wie die in gelbgoldenes Feen
gewand gehüllte Theatinerstraße bedeutete ein Novum, etwas bis dahin Unerhörtes an Kühnheit und Kraft des Gedankens.
Die Kunst für Alle XXV. 9. 1. Februar 1910.