[Ле 1082. 26. у 1864.
	908
	Allustririe Seung,
	ber Vorrede — till anleiten, den Dichter zu lefen, vow dem es
handelt. Midjte man e3 harum nidt ausmahlend und 36%:
pfliictend lefen, fondern im Bufammenhange und gang umd den
Dichter immer yur Sette. Vieles mbchte fonft unverftiindlid) blet-
ben, vieles grillenhaft diinfen, vieles in den Dichter hineingelegt
icheinen, wahrend mein anfprudjlojed Beftreben war, thn foviel
al8 miglicy gu feiner Grilicung jelbft reden gu laffen. Die Er-
gebniffe meiner Betradjiung, ungejudht wie fie find, werden nad
manden Seiten hin nidjts neued bringen, nad anderen viele
iberrafden. So braudjt man die dicjterifaje Schinbett, die in-
tellectuelle Ueberlegenhett in Shatefpeare’s Werten den meiften
Lefern nidit mehr nadjguwetfen; dte gliingende fittlide Hokeit
icles Dicjterd haben twice und dagegen durch duberlidhe Dinge
vielfach verdeden Laffen. Sieht man erft durch die dupere Hille
hindurds, fo wird man auch in diefer Hinficht eine Gripe in dies
fem Manne gewahren, bie mit jeder andern Sette in ihm twett:
eifert, dte aber wol manchem in diefer Beit frembartig auffatlen
wird, in der man fic) gewslnt hat, die geiftige Grdfe von Frei
geifteret und freien Sitten ungerirennlich gu denten.”

Olt it mir die tabdelfiichtige Strenge meiner literartjden
	Uirtheile und meine negtvende Qaltung gegen die Oidjtungs:
	Shrijtus mit der Dornentrone,
	Ueberall, мо Фезути8 Оржефреате ип долей und groper
faft und ihn in Parallele ftellt mit den herborragenden Dichtern
de Ulterthums und der Neusett, ergivingt er unfere Зин
mung. Ueberall aber, wo fich3 um feinere ИнуетИ ое Ури.
faffung, unt tieferes Cingehen in den Bau der einjetnen Stites
und Chavattere handelt, lapt ex viel gu паче iibrig und geigt
eine oft unbdegreifficje Ginfeitigtett beS UrthetlS. Hier bleibt »
weit hinter Rvtfder und Wleict ии, der Leffing, Goethe
м Coleridge, de Quuinci und Bleicher gar nicht qu ae:

enfen.

Ee weif nicht die feine, aber fdjarfe Shetdelinte silden
Runft und Wirklidhkeit зи giehen, ex mipt alles mit der movali:
iden Elle und beurtheilt die Shatelpeare’jhen Charattere nicgt
rach ihrem wahren poetifcen Werthe, night nach der Тр
ichen Kraft, weldje dazu gehiete, fie gu exzeugen, aud) nicht nad
dex nothwendigen Stellung, weldje jie ihrer Natur nad tm den
Sticke einnehmen, fondern vornehmlid) nad) der Sympathi:
oder Untipathie, welche fie ihm eviveden.

Mt einem Worte: Gervinus ift ein vortrefflidjer Hiftoriter,
aber tein Melthetifer. Wo er lobt, fann man ihm in den meiften
	Killen freudig beiftimmen; nicht fo, wo ev tavelt, obglerd) ex ge:
		bet thm Ausnabhme war, wurde bet jetnen Nachpolgern gur Itegel,
und die gentale Freibeit, mit weldher er die iberfommene Form
erweiterte und feinen Sweden dienltbar madhte, artete bet fetnen
Nachfolgern in Biigellofigteit aus, fodaf unter ihnen der Cinflus,
ben da8 Theater auf das Publitum itbte, ebenfo fcpledt war als
ber, den ¢3 von ihm erlitt, Das Sdhaufpiel endigte damit, die
Roriwiirfe yu verdienen, weldje anfangs feine Gegner ungeredjter:
tweife bagegen erhoben batten.

Befonders fett bem Regierungsantritte Karl’s I. nahm dite
Oppofition gegen bas Theater einen bedrohlicen Charatier an,
ber mehr und mehr in 008 confeffionelle Gebiet binitber pielte.
Die fatholijde Kdnigin Henriette begiinftigte dad Schaufpiel und
liebte e8, fich felbft auf ihrem Privattheater als Schaufpiclerin
au zeigen. So gefdjah eB, dah den Buritanern die Wnhdnger des
Theaters und der Minigin gugleich als Anhianger der Latholifden
Parte galten.

Sm Sabre 1633 erfdien ein grofeS BWuffehen erregendes
Werk von Prhrne, weldjes unter dem Titel ,, Histriomastix”,
d. i. die Geibel ber Schaufpieler, in leiden{daftlidjter Weife ges
gen da8 Theaterwefen gu Gelbe gog und alle Schaujpieler als
Diener deB Leufels verdammte. Oa das Buc auch die Schau:
	fpielerinnen (deren e8 befanntlich auf der Bolfsbubne Leine gab)
fammt und fonders als verworfene Gefdhopfe begetdnete und
diefe Stelle auf die NInigin besgogen wurde, welde zufallig де
rade einen Tag vor dem Crfcheinen deS ,,Histriomastix” felb{t in
einem Stiide in Sommerjethoufe aufgetreten war, fo hatte der
fanatifche Berfaffer fdjwer fiir feine Ungviffe gu biipen, indent
man thn aweimal an den Branger fiellte, ihm beide Ohren ab:
{chnitt, thn gu einer Geldftrafe von 5000 Pfd. St. verurtheilte,
fener Vitel und Wiirden beraubie unb endlich getilebens ein:
Ferferte.

G8 ift dbemnad nicht gu veriwundern, зав die Puritaner, fo-
bald fie and Ruder tamen, allem Theaterwefen mit einem Sdlage
ein Gnde machten, und bei naherer Kenninif der Sachlage mus
man geftehen, bab biefer Wet nur der dufere Wbfdhlub eines in:
nerlich jchon vollgogenen Veriverfungsproceffes war.

Seon nach diefer iiberfichtlicjen Stigge fpringt in bie Wugen,
weld ein weitfdhidtiges Material derjenige au bewaltigen bat,
der eS unternimmt, einen weltumfpannenden Genius wie Shate-
fpeare in feiner hiftorijdjen Bedeutung, al8 Bliite einer Langen
Entwidelung, im Zujammenhange mit feinen BVorldufern, Beit:
genoffen und Nadfolgern gu wiirdigen. Horen wir von Gervinus
felbtt, wie ev feine Nufgabe gefapt hat. ,,Oas Buch — fagt ex in
	in carrarifdem Marmor ausgefilhrt von Karl Cauer, Лай einer Photographie gegzeidnet von 2. Ieumtart.
	wberfude unfever Tage borgeworfern worden. Es thut mir wobl,
hier eine Gelegenbhett yu haben, gu geigen, dafs ich auch loben und
lieben fann. Und wenn Lob und Liebe geeigneter als Ladel iff,
unfere ringende Literatur gu Eraftigen und yu begeiftern, dann
gewif} miibte bad Bild, das id) hier entwerfe, den Stachel des
Nacheiferd in fede begabte Seele werfen. Denn die Wrbeit ift mit
ausbauernbder Liebe gefertigt, der Gegenftand mit ausfdjlieben:
ber Giebe gewahlt, jebeS gelehrte Beiwert ausdritdlich fern ge:
halten worden, um den Blick de3 Beobadhters gang auf dies Cine
Object ber Bewunderung gu feffeln.”

Gervinus hat nicht zu viel verfprodjen. Ex hat feine gange
Kraft, Gelehrjamfeit, Liebe und Begeifterung an diejes Werk gee
fest und feine Hauptaufgabe, die hohe ethifde Bedeutung Shate:
{peare’3 aus feinen Dramen aufyuzeigen, tft iyi vollfommen ge:
lungen. Weberhaupt fann man fagen, da alles, wo der Hiftori-
fer in den Bordergrund tritt, bet Gervinus vortrefflic ift und
Ghnlide Webeiten feiner Vorginger ent{chieden iiberragt. Hier:
her gehiren die Ginleitung, die Whhandlung itber die ухи Фе
Dichtung vor Shafefpeare, fowie die Ubhandlungen itber feinen
Shinheitsinn, feine angeblice Regellofigkeit, fein Kunitideal,
	den fittliden Geift in jeinen Werken, die dramatifdhen Gattungen
und bie Grundsiige feiner fittlicen Unjdauung.
	rade bei Shatefpeare mit dem Tabdel fo fparfam als miglich tt.
Sein Tadet lft fich immer auf fehr ehrenwerthe Gejinnungen.
felten auf ftetifdje Beincipien guriidfiihren. Micjt eimmal det
alte Han Falftaff, eine der hervorragendjten Schipfungen der
dramatifden Melbpoefie, findet Gnade vor feinen dugen. 66
feblt ihm bie Fahigteit, fic) unbefangen in eine frembe Well 7
verjegen; nur Charattere, die mehr oder minder dem feinige
gleichen, muthen ihn an und find-ihm verftindlid. So gefdhielt
e8 ihm nicht felten, dak ex mehr fic) felbjt ска al8 Shate:
fpeare, denn Gervinud gehirt nicht blos duberlid) der Schloffer
{chen Schule .n, d. Б. nicht blos deshalb, weil er gu des Meifters
Giipen gefeffen: er gleidt feinem berithmten Sebrer aud) dart,
dab ex in allen feinen Gdjriften fic) felbft gibt, bag wir in feinen
Urtheilen immer ben gangen Mann ertennen. .
Wie viel man nun auch im eingelnen an feinem BWerke itber
Shatefpeare auszufesen finden mag, alles in allem genommmten
verdient e8 bollformen den grofen Erfog, den е8 {оп дели
den; in der dritten Muflage Раф е8 wejentlide Berbefjerungen
fahren unb wir wiiniden ibm von Herzen eine immer gropere
	Verbreitung. xr. Boden jtedt