1896 * JUGEND «+ Nr. 6
	 
	Zierleiste von F. Hass.
	Fur die ,jugend* geschrieben von Theodo-
retta Rosenbliih.
	Nachdem ich aufgefordert worden bin,
fiir Ihre Zeitschrift tiber meine Erfahrungen
in Bezug auf hausliche Kunst éinen Artikel
zu verfassen und dieselbe mir neulich durch
die Post zugegangen ist, schicke ich, weil
ich ohnedies die Schriftstellerei auch als
Liebhaberkunst betreibe, indem dass ver-
schiedene Zeitschriften, wie ,,die Kunst fir
die deutsche Hausfrau“, das ,,Hausmiitter-
chen“ und der ,,Leimtopf* Aufsatze von mir
gebracht haben und dieselben grossen An-
Klang gefunden haben, Ihnen Einiges aus
meiner Praxis und langjahrigen Erfahrung,
welche ich mir im Laufe der Jahre (er-
worben habe. . >

Theure Leserin! Man glaubt gar nicht, mit
was man alles sein Heim schmiicken kann!

In meinem Hause wird, die Kiichenab-
falle inclusive mit eingeschlossen, Alles
zur Schmtickung des Heims verwendet und
haben wir schon zwei weitere Zimmer mit-
dazumiethen miissen, um Alles unterzu-
bringen. Aus ganz Unscheinbarem kanneine
geschickte Liebhaberkiinstlerinnenhand den
reizendsten Zimmerschmuck verfertigen. So
essen wir z. B. éfters Leberwiirste. Ich sorge,
dass die Haute sorgfaltig aufgeschnitten
werden, trockne sie, reinige sie, nahe sie zu-
sammen, spanne sie auf Rahmen, bemale
sie mit Wasserfarben und erziele dadurch
einen Fensterschmuck, der, sobald es dunkel
wird, aussieht wie echte Diaphanien.
Mein Mann hat sich allerdings beklagt, dass
er jetzt gar so oft Leberwiirste essen muss,
aber die schénen Glasfenster-Imitationen
in seinem Schreibzimmer haben ihm doch
recht viel Vergniigen gemacht, wozu sich
die Haute von Blutwiirsten weniger eignen,
weil sie nicht so durchsichtig sind, und er
gab sich schliesslich zufrieden.

Theure Leserin, wie war ich da erfreut!

Unserm Speisezimmer fehlte schon lange
ein Lister. Ich habe aus einem alten Regen-
schirmgestell, einigen Kilos alter Glas-
scherben und einer Mischung von verdor-
benen Salzgurken, Kartoffelschalen Asche,
Gips und zugrundegegangenen Bitcklingen
einen prachtvollen Lister hergestellt. Die
Stangen des Regenschirms bestrich ich mit
einer aus obigen Ingredienzien gekneteten
Masse, den Biicklingen nahm ich die Schup-
pen ab, was eine prachtige Vergoldung fir
den Lister abgab, auf den ich sie klebte,
und die Glasscherben liess ich schleifen und
behingte damit den Liister, deranfangs nicht
angenehm roch, aber von geradezu prach-
tiger Erscheinung war; nur das Schleifen
war etwas theuer, nach dessen Preis ich
vergessen hatte, vorher zu fragen. Der Glas-
schleifer hat 275 Mark verlangt — aber es
gibt gewiss Schleifer, die das billiger machen.

Lange war es mein sehnlichster Wunsch,
die Biiste meines Lieblings-Componisten
zu besitzen, indem ich auch die Musik als
Liebhaberkunst treibe und mir dieselbe in
echtem Gyps zu kostspielig war. Nun verfiel
ich auf einen Gedanken, auf den ich wirklich
stolz bin: ich hatte ein Gefass, welches
iiberfliissig wurde, da mein Jiingster sozu-
sagen daraus wuchs. Dieses setzte ich auf
einen abgebrochenen Lampenfuss, schlug
den Henkel ab, modellirte eine Nase an
seine Stelle und auch das Uebrige, was
zum Gesicht gehért, bis es dem grossen
Kiinstler ahnlich sah und ich mit Gold-
bronze bestrich, wo es dann wirklich wie
	Stahistiche mit Portrats des Meisters ge-
kauft. Fiir die echte Biiste verlangte der
Gypsfigurenhandler 6 Mark, mir kostete
die meinige nichts, als um 20 Pfennige
Modellirwachs und um 10 Pfennige Gold-
bronze.

Mit Goldbronze ldsst sich tiberhaupt
Fabelhaftes erreichen. In meinem Rococo-
zimmer habe ich z. B. einen Spiegelrahmen
einfach durch aufgenagelte Salzbretzen stil-
voll verziert. Kein Mensch kennt das von
einer echten Schnitzerei ,,Louis XV.“ weg.
Eine Galosche meiner Schwiegermutter, in
die ich eine Kinderbadewanne aus Blech
stellte, gab einen wundervollen ovalen
Blumentisch, ein Corsett der gleichen Dame
mit Leimwasser steif gemacht und bronzirt
ist als Behilter fiir getragene Wasche jetzt
die Zierde unseres Schlafgemaches.

Wie gesagt, theure Mitschwester, ich
verwende Alles im Haushalt zur Schmiick-
ung unseres Heims: Aus alten Stiefelsohlen
meines Mannes habe ich in Lederschnitt
sehr hiibsche Bierglasuntersitzchen ge-
macht, aus alten Conservenbiichsen, ab-
gelegten Biigeleisen und Blechtépfen stellte
ich einen Ritterharnisch fiir unsern Vor-
platz zusammen, den nur ein Kenner, weil
derselbe wirklich hiibsch ist, von einem
echten Maxemanuelsharnisch weg kennt,
wie man sie heisst. Ein reizendes Tinten-
zeug erhielt mein Gatte von mir zu seinem
letzten Geburtstag; und aus was ist es?
Nur aus abgebrochenen Soxhletflaschen,
Austernschalen und Hummerscheeren. Zu
seinem Namenstag bekam er einen Pfeifen-
stinder — aus was? Aus zwei defekten
Teppichklopfern und einem zerbrochenen
Toilette-Eimer und den Resten einer aus-
rangirten Bettvorlage — es sieht aus wie
indisch. Erst jiingst habe ich ihm den Sitz
seines Schreibstuhles mit tiefer Kerb-
schnittarbeit verziert. Er sagt, er miisse
nun an mich denken, so oft er darauf sitzt,
wie ihn iiberhaupt jedes Stiick in unserem
Hausrath an meine fleissigen Hinde er-
innert.

Ich glaube, sagen zu diirfen, dass nahe-
zu nichts mehr ungeschmiickt ist in unserm
Heim. Bei Einladungen verzieren wir sogar
Zahnstocher und Streichhélzer mit Holz-
brand. Ueberhaupt wird mit dem Gliihstift
Alles bearbeitet, was aus Holz oder Leder
ist, wie ich auch alles Porzellan- und Stein-
gutgeschirr stilvoll bemale. .

Dass man alle Stoffreste zu liebhaber-
kiinstlichen Arbeiten verwenden kann, ver-
steht sich von selbst. Unser grosser Sa-
lonteppich weist Muster von sammtlichen
Hosen auf, die mein Mann in den 24 Jahren
unserer Ehe getragen. Man hielte denselben
fiir einen echten Perser. Unsere Vorhinge
sind mit der Wolle abgetragener Striimpfe
und Socken gestrickt und hangen an (bron-
zirten) Vorhangstangen, die friiher Besen ge-
wesen sind. Unsere Stiihle sind mit meinen
ehemaligen Seidenkleidern tiberzogen, un-
sere altdeutschen Tischtiicher sind ehe-
malige Bettlaken, die ich mit rothem Garn
verziert habe, wahrend unsere Betttiicher
aus ehemaligen altdeutschen Tischdecken
bestehen. Alte Schnupftiicher lassen sich
mit geschickter Beniitzung der Lécher und
Flicken in reizende a jour-Deckchen verwan-
deln und sind dieselben fiir Teller, Brod-
kérbchen sehr verwendbar.

Alles lasst sich verwenden, theure Le-
serin, wirf ja nichts weg in Deinem Haus-