Мг. 7 $ Ein Aschermittwoch. Wir hatten uns sechs oder sieben Mal in jenem langen Fasching getroffen, aber nur da, wo Maskenfreiheit galt und Larven getragen wurden, denn ich sah sie nie ohne Larve. Vielleicht trafen wir uns auch sonst noch hin und wieder auf einem Ball, auf der Strasse, im Theater — ich weiss es nicht und sie hat es mir jedenfalls nicht verrathen. Sie kam immer im schwarzen Domino und hatte immer die gleiche Nadel am Busen stecken, an der ich sie erkannte: ein goldenes Mistelzweiglein mit Perlen- beeren. Mit dem ersten Blick hatte sie mich gefesselt. Sie war eher klein, als gross. Von ihrer Gestalt liess das bauschige Seidengewand nicht viel mehr erkennen, als dass sie geschmeidig und schlank war. Ein Stiickchen Arm, zwischen dem hohen schwarzen Handschuh und dem Aermel, war voll und weiss, der Ansatz des Halses an die Schulter so schén, wie man ihn selten sieht. Es war zum Entziicken, wenn sie diesen schlanken Hals bewegte und sie drehte das Képfchen gerne ein wenig kokett hin und her, als wiisste sie, wie gut ihr das stand. In ihrem Nacken krauselte sich dichtes dunkles Haar. Auch ihren Mund habe ich gesehen, einen nicht zu kleinen Mund mit vollen, rothen Lippen, die lachen konnten, lachen, dass Einem das Herz im Leibe mitlachen musste, auch wenn es bang und traurig gewesen war. Auch schmollen sah ich diese Lippen, und sie sind auch dann nicht minder hiibsch ge- wesen, Sie war immer sehr gut angezogen und vermied dabei einen iibertriebenen Chic ebenso geschmackvoll wie alles Spiess- biirgerliche und Alltigliche. Allerliebst waren Sstets ihre kleinen, feinen Schuhe — ,ein késtlich Ding an Frauen!’ — frei nach Lear! Zuerst trafen wir uns zufallig und plau- derten ungezwungen, wie zwei Leute, denen der Mummenschanz mit seinen Freiheiten JUGEND nichts Neues mehr ist. Unser Gesprach kam schnell in Fluss und war in einigen Minuten lebhaft und -reizvoll; das war schon ein Zeichen dafiir, dass unsere Seelen einander verstanden. Wir sprachen nicht vom Schlittschuhlaufen und nicht vom Wetter, nicht von Sudermann und nicht von Mascagni. Auf Verlegenheits- themen gerieth man gar nicht in ihrer Gesellschaft. Als wir zum ersten Male auseinandergingen, bat ich sie um ein Wiedersehen. „О ja — im Domino!“ »Und das Erkennungszeichen?“ -- Sie deutete auf die goldene Mistel. Acht Tage spater traf ich sie auf dem Opernball. Wir sprachen wieder nicht vom Theater oder anderem Nothbehelf; immer von uns selbst, immer vom lebendigen Leben. Beim Auseinandergehen sagte sie mir freiwillig; wo sie nichstens zu treffen sein werde. Immer hinter der Maske na- tiirlich! So begegneten wir uns bald da, bald dort und wir blieben dann stets zusammen, bis sie nach Hause fuhr. Bis an den Wagen ging ich mit; ich hatte versprechen miissen, ihr aber nie weiter zu folgen. Ob sie meinet- wegen kam, weiss ich nicht, doch es mochte wohl sein. Dass ich ihretwegen kam, weiss ich gewiss. Und bald kam ich nur allzu gerne! Ich war verliebt — in einen Domino! Wer war sie? Eine Dame der »ganzen« Welt oder ein Damchen der halben? Eine Frau? Ein Madchen? Wenn ich sie fragte, oder gar auf Umwegen eine Auskunft zu ergattern suchte, lachte sie mit ihrem hell- sten Lachen und gab mir die Antwort: »Chi lo saP Wer weiss es?“ Madonna Chilosa nannte ich sie denn auch, Sie sprach nie ein allzu freies Wort, verubelte aber auch einen Scherz nicht, der kecker war, als das tibliche Ballgesprich. Als ich einmal in einem unbewachten Augenblick die Lippen auf ihre Schulter driickte, schlug sie mich weder mit dem Facher in’s Gesicht, noch fuhr sie zornig auf. Sie sagte ganz ruhig, bittend fast: ,Lass’ das, sonst komme ich nicht wieder? Da liess ich es und je Ofter wir uns trafen, desto mehr liess ich von dem, was ich vorher gewagt. Auch im Reden, ob- wohl da die Versuchung, ein wenig imper- tinent zu sein, ziemlich gross war. Drehte sich doch unser Gespriach zumeist im Kreise um Herzensfragen. Dass dies nie eintonig und nie gefahrlich wurde, weiss ich heute kaum mehr zu fassen. Fing ich je einmal an, von schéngeistigen Dingen zu reden, so gab sie meist eine kurze, oft eine gute Antwort, brach dann aber ab. Es schien, als hatte sie eher Bildung, als Unbildung zu verbergen. Natiirlich hatte ich-sie schon am Schlus- se des ersten Ballabends gebeten, die Mas- ke zu liiften. Sie schiittelte lachend den Kopf und entschwand, als es Zeit wurde, sich zu demaskiren. Gerade so das zweite Mal. Auf dem dritten Maskenbal] waren wir schon gute Freunde. Damals versprach sie mir, am letzten Abend des Carnevals die Maske abzunehmen, wenn ich artig bliebe. Nun drangte ich nicht mehr. Mit jeder Begegnung freilich wuchs meine Neugier, aber jedesmal mischte sich auch staérkeres Bangen dazu. War sie wirklich der machtigen Re- gung werth, die mir das Blut so sturmisch zum Herzen drangte, wenn ich nur von Weitem ihre wohlbekannte, vermummte Gestalt auf mich zuschreiten sahP War sie schénP War sie jung? War sie ver- bliht? Gut? Schlecht? Dass sie nicht hdsslich sein kénne, stand in mir fest. Dass sie jung sei, dafiir sprach der feingedrechselte Hals — nicht mehr siebzehn- oder achtzehnjahrig, das bewiesen die frauenhaften Schultern. Das bewies tibrigens auch die Art, wie sie vom Leben sprach. Was wiirde ich inne, wenn die Maske fielP Eine solche Frage sollte Einem nicht mehr sehr viel Herzklopfen machen, wenn man sechsunddreissig Jahre zahlt und nicht gerade mehr zum ersten Mal vor einem holden Rathsel steht. Es gab aber Niachte,