JUGEND Zierleiste von F. Hass. 105 Zw6lf Uhr! Dréhnend, langsam, schaurig fast in diesen Trubel der Narrheit hinein klangen die zwélf Schlage vom nahen Thurm des Miinsters. »Zwolf Uhr!“ rief ich. »Aschermittwoch!“ gab sie zur Antwort. Ich fasste ihre Hand. »Wirst Du Wort halten und Dich demaskiren P“ »Ja — wenn Du es willst!“ Einen Augenblick zégerte sie noch, dann nestelte sie an ihrem Kopfputz, die Larve loszu- machen. Der Knoten wollte sich nicht dffnen lassen. »Du.musst mir schon behilflich sein !* Ich stand auf — mit hochklopfendem Herzen. Fiir mich war das nicht mehr das fliichtige Rathsel einer Ballnacht, was sich da lésen sollte; es war eine durch Wochen gesteigerte, geschiirte Leidenschaft, die mich gequalt hatte, — die nun vielleicht ein Ende haben, oder noch un- heilvoller auflodern mochte. Ein namenloses Bangen tiberkam mich, nicht ein Bangen vor Unheil, oder eines vor der Zer- stérung eines Wahnes, der mir so lieb geworden. Ich stand neben ihr, sah ihre blitzenden Augen zu mir emporgerichtet und hérte sie sagen: »Nun, Du weisst es ja so gewiss, dass ich nicht alt und nicht hasslich bin!“ »Das wire am Wenigsten schlimm und das beste Mittel, mich von diesem thérichten Herz- klopfen zu kuriren!“ »Mit diesem Mittel kann ich aber leider nicht dienen !“ »Weisst Du, dass ich versucht bin, Deinen Schleier ungehoben zu lassen, liebes verschleiertes Bild! Am Ende wire es kliiger!“ „Ат Епае!“ Mit einem Male wurde der Entschluss in mir reif, dass meine Unbekannte mir auch unbe- kannt bleiben sollte und je klarer der Entschluss ward, desto ruhiger strémte mein Blut wieder durch die Adern. Den holdseligen Traum als Traum erhalten — das war das Rechte! Der ganze magische Reiz, der mich zu dem berauschenden Wesen hinzog, konnte mit einem Schlage verflogen sein, wenn ich ihr Gesicht sah. Irgend ein béses Faltchen um ihr Auge konnte die Illusion zerstéren. Und ein Glitck, das Einem hinterher ausgestrichen wird aus dem diinnen Biichlein unserer Freuden, das wird zum bittern Leid. Jetzt war Dame Chilosa fir mich noch lieb, schén und gut! Sie sollte es fiir mich bleiben! »lch lasse Dir Deine Maske, vielleicht ist’s das Beste fiir uns Beide!“ yin irgend einem Sinne gewiss!“ Ich hatte die Glaser wieder voll gegossen und wir stiessen an: ,,Auf ein Wiederbegegnen, irgend- wo, irgendwann, aber in guter Stunde! Es kann ja sein, dass es sich fiigt!** »Es kann sein! Chi lo sal Sie nickte mir freundlich zu und ihre Augen slanzten feucht. Dann hob sie den Schleier der Larve hoch, um zu trinken. Ich sah ihren Mund wieder und sah, wie er bliihend und jung war. Wiedér ein kleines Toben in der linken Brust- seite. Dann war’s iberwunden. Nun blieben wir ganz unbefangen noch eine Weile bei einander und gedachten scherzend der vergangenen Wochen, lachten iiber den Schwarm iiberhitzter und doch schon halberniichterter Men- schen im Saal. Auf keinem Gesicht war eine reine und ruhige Freude zu lesen. Ueber Allen lag schon der Schatten der Reue, der Sorge, der Uebersittigung. Die meisten Frauen hatten jetzt die Larven abgelegt — aber kein einziges von allen diesen Gesichtern kam mir anziehend vor. Unser gelber Clown tanzelte wieder vorbei: »Demaskiren !“ schrie er, Fast gleichzeitig erhoben wir uns, Dame Chi- losa und ich — wir verstanden uns schon, ohne in denen ich um dieser Frage willen nicht ein- schlafen konnte, es gab eine Nacht, in der ich meinte, durch sie von Sinnen zu kommen, mir das Thérichteste vornahm, die unsinnigsten Zu- kunftsplane machte. Aber schliiesslich sucht man sich sein Weib doch nicht hinter der Larve! Sein Weib! Soweit war ich schon — und ich wusste nicht, ob sie nicht einem Andern, ob sie nicht — aller Welt gehérte! Gar nichts wusste ‚160 Ууоп ШГ, War ich wieder bei Dame Chilosa, dann war der Sturm vertobt, ich plauderte mit ihr, senkte meinen Blick in die Tiefe ihrer Augen, hérte den Wohllaut ihrer Stimme und war glicklich. Dann hatte ich auch das bestimmte Gefihl, dass sie jung, reizend, gut und klug sein mitsse. Ging ich aber ein’ paar Stunden spater nach Hause durch die Winterriacht, deren eisige Luft Stirne und Gedanken abkiihlte, so kam wieder das unselige: ,,Aber wenn doch...“ iiber mich. Es war der letzte Abend des Faschings. Wir hatten ein Tischlein in jeinem wundervoll ab- gelegenen Nebenraum des Ballsaales erobert und vor uns stand eine Flasche Champagner. Zum ersten Male seit unserer Bekanntschaft. Bisher hatte sie nie eine andere Erfrischung von mir angenommen, als ein Glas Limonade, oder eine Tasse Eis. yHeute ist es ja doch das letzte Mal,“ hatte ich gebeten. »Also zum Abschied !“ Mir war es, als ob ihre Stimme zitterte. Ich schenkte ihr ein; sie hob den Schleier der Larve ein wenig in die Héhe und mein Blick hing durstig an ihrem Mund. Heute werde ich endlich Dein Gesicht sehen!“ Ich brachte die Worte kaum heraus vor Erreg- ung. Sie lachte ganz leise. »Wenn es zwolf Uhr geschlagen hat — am Aschermittwoch Morgen“. Nun plauderten wir wieder von Anderem. Hastiger, unruhiger als sonst, und mit langeren Pausen. Auch sie schien erregt. Als ich ein- mal ihre Hand streifte mit der meinigen, hielt sie diese einen Augenblick fest. Nur einen Augenblick; es war aber doch ein leiser Druck, den ich spiirte. Unsere Glaser klangen wieder zusammen. »Auf das Gliick der nachsten Stunde.“ »Auf Dein Glick in dieser und jeder spateren.“ »yAuf Deins, Du Liebe, Schéne!“ »Lieb, schén 2“ ylch weiss, dass Du es bist!“ „СЫ 10 за!“ Nun wurden wir wiederum ganz still mitten in dem wiisten, tobenden Treiben der letzten Carnevalsnacht. Um uns schwirrten die Masken. Am Nebentische presste sich hinter einem Riesen- facher ein Paar in wildem Begehren aneinander. Nebendran sass ein einsamer Pierrot, den Katzen- jammer eines ganzen Carnevals in seinem mehl- bestdubten Gesicht und schlief, des Larms un- geachtet, den Schlaf des Ungerechten. Ein Clown in gelbem Glanzleinen strich herbei und kniff meine Unbekannte in den Arm. Ich gab dem steifleinenen Humoristen einen Rippenstoss. „Мазкепгетей!“ briillte er, nahm es aber wei- ter nicht tibel. Immer heisser wurde der Saal, immer schwiiler die Lustigkeit der Menschen. In der Luft lag der Rausch. »yHast Du mich liebP“ Mit dieser thérichten Frage brach ich das Schweigen. » Warum antwortest Du nicht! Sag’ wenig- stens Nein!“ yEin Ja und ein Nein wiirden Dir gleich wenig helfen !**