Gezeichnet von j. Сагфеп.
	Aus der Thur treten jetzt Alle, welche
vorhin hineingegangen sind. Mit besorgter,
theilnehmender Miene stehen sie umher.
Ein hoher, weisshaariger General, der dem
alten Kaiser Wilhelm sehr ahnlich sieht,
fahrt sich oft mit dem Taschentuch iiber
die Augen und iiber den Bart, auf den
die Thrinen hinabperlen. Viele stehen
in Gruppen und fliistern und blicken hin-
auf, und fliistern — —

Plétzlich wird oben mit raschen Handen
eia Rouleau in die Héhe gezogen. Hastig
schieben sie die weissen Gardinen zur
Seite, und eine in tiefe Trauer gekleidete
Gestalt erscheint am Fenster; sie hat den
langen Florschleier zuritickgeschlagen und
ihre thranenstr6émenden Augen unten auf
	die Strasse gerichtet.
Nie werde ich dieses Bild des Jammers
	vergessen.

Sie schien der Verzweiflung nahe, und
ihr Kérper bebte in wildem, aufgeléstem
Schluchzen...

Fest an das Fensterkreuz geklammert,
nickte sie hinunter auf das, was jetzt
langsam aus der Thi getragen wurde..
um dann, mit einem Aufschrei, riicklings
in die Arme einer Dame zu fallen, welche
die Aermste liebevoll umfing.

Jetzt wusste ich auch, wer der Ver-
storbene war. — In der Dame hatte ich
Fraulein von D., die Hofdame der Firstin
erkannt, und er, den man jetzt dorthin
trug, war ihr Verlobter.

Zwei Tage zuvor schon hatte man in
allen Zeitungen von der tragischen Be-
	Gezeichnet yon Schmidt-Helmbrechts.
	Reisen in fremde Lander und unter andere
Vélker hatten mir die Kinderjahre sehr
lang erscheinen lassen und mein junges
Gemiith fiir alle Eindriicke sehr empfind-
sam gemacht.

Auch an jenem warmen, dunstigen
Frithlingsnachmittage schweifte mein Blick
Sfters nach driiben, als unten auf der Strasse
etwas meine Aufmerksamkeit erregte:

Offiziere in voller Gala — Сепег&е
mit Federbusch und blitzenden Orden,
Herren im Frack und Cylinder kamen und
verschwanden nacheinander in dem Hause
	У1$-А-У1$.
In dem ersten Stock waren die Rouleaux
heruntergezogen, — aber als Kind com-
	biniert man nicht so schnell...

Da — um die Ecke kommt ein Trauer-
wagen mit vier Pferden bespannt, welche
hohe, schwarze Federn auf dem Kopfe
haben. — ;

Dann riicken Soldaten heran. Laute
Commandos erténen, Gewehrkolben stos-
sen prasseind auf das Steinpflaster — da-
zwischen Pferdegetrappel und neue Com-
mandorufe; — eine Schwadron Ulanen
ist herangeriickt und hat Aufstellung ge-
nommen. —

Inzwischen war unsere ganze Klasse
in Aufregung gerathen — in Anbetracht
dessen der Lehrer es vorzog, den Unter-
richt zu unterbrechen und uns zu erlauben,
von den drei Klassenfenstern ,,das Be-
grabniss“ mit anzusehen.

»Das muss irgend ein hoher Offizier
sein“, meinte unser Lehrer.
	Das alte Haus am Wal!
		Es war um das jahr 1878.

Ich ging, damals noch ein kleines
Madchen, in die Téchterschule, die in H.
am Walle steht. Einige machtige, alte Linden
ragten auf dem breiten Wege, der sich in
der Mitte der Strasse entlang zog, hoch in
die Luft hinein und warfen grosse Schatten
auf die drei altmodischen Hauser, die das
Gegenitiber unserer Schule bildeten, und
die, trotz ihrer drei Stockwerke, so niedrig

waren, dass wir in der zweiten Etage gut in
	jene Stuben hatten hinein schauen konnen,
	wenn die Entfernung es nicht verhindert
hatte.

. Sie mochten wohl zu Anfang des Jahr-
hunderts nicht den einfachen Eindruck ge-
macht haben, den sie damals wachriefen;
— aber gerade diese Einfachheit gab ihnen
etwas Ehrbares, und oft schweiften meine
Blicke und meine Gedanken driiben nach
den eng aneinander stehenden Fenstern,
denen jetzt noch steif geplattete Gardinen
ein Air von Correctheit verliehen.

Diese drei Hauser hatten aber noch
aus einem anderen Grund mein Interesse
erweckt, — und dieser wird auch wohl
zuerst die Veranlassung gewesen sein, dass
sich tiberhaupt meine kindlichen Gedanken
mit ihnen befassten, — von meiner Mutter
wusste ich, dass ich in einem derselben
das Licht der Welt erblickt hatte.

Damals schon schien es mir, als miisse
das sehr lange her sein — denn weite