Ур оТГоинти 5
	Originalradirung von Maxim, Dasio (Miinchen).
	Und die Schuld ist mein.

Vergib mir, mein Lieb, denn ich
gehe ja in den Tod fiir Dich — —
Gibt es eine gréssere Liebe?

Ich liebe Dich — o Letti — ich liebe
Dich! Ferdinand.

Die Hausthiir knarrt schon zum dritten
Male in dieser Nacht. — Es ist Ferdinand,
welcher von dem Briefkasten zuriickkommt,
in den er ein Schreiben warf. —

Nur ein kleines, viereckiges Couvert,
— aber es birgt das Schicksal zweier
Menschenleben.

Und morgen, wenn es in dem kleinen,
ruhigen Stadtchen ankommt, das zwischen
den Bergen liegt, wird ein weiches, tapferes,
kleines Herz langsam brechen.

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	Die Thurmuhr schlagt drei. Zur selben
Zeit fahrt der Wirth in dem alten Hause
plétzlich aus tiefem Schlaf indie Héhe. — —

War das nicht ein Schuss?

Aber alles bleibt still.

Nur der Hofhund fangt nach einiger
Zeit laut an zu heulen — schaurig dringen
die Tine in die Nacht hinein.

Gleichzeitig erlischt hinter einem Fen-
ster in der ersten Etage der flackernde Licht-
schein einer Kerze — und tiefe Dunkelheit
umpgibt wieder die alten Hauser am Wall.
	Er hat so lange keinen Brief mehr von
ihr gehabt, — fast zwei Jahre sind es her. —

Er muss sich erst sammeln, — vorhin
da war er ja so verstért, — und dann bricht
er ihn langsam auf. — —

Mein Gott — mein Gott — — —!
		Langsam wie ein Nachtwandler geht er
an den Schrank; — dort holt er eine kleine
Kiste her, die er auf den Tisch stellt...

Dann setzt er sich hin. Er fabrt sich
mit der Hand zum Herzen, — er fihlt
einen Krampf. —

Vorhin da war es ihm ja gewesen, als
ob dort etwas zersprang.. .

»Lotti — Lotti —!“ wie ein Schrei ent-
fahrt es ihm — dann nimmt er die Feder
	und schreibt:
Mein Lieb!

Wenn Du diese Zeilen empfangst,
dann wird der, welcher sie schrieb, langst
todt sein.

Mein Lieb — sei nicht traurig des-
wegen — denn es konnte nicht anders
sein... Aber vergieb mir — denn ich
allein trage die Schuld, Lotti — und die
war gross, — so gross, dass ich sie mit
dem Tode siihnen muss.

Wenn Du dann hérst, wie Alles kam,
dann habe Mitleid mit mir, der ich ver-
gass, dass sich Liebe nicht zwingen
lasst, und meinte, sie in der Pflicht be-

graben zu kénnen.
Da miisste man Dich nicht geliebt
	haben, Lotti —
Und nun, da wir hitten gliicklich sein
	kénnen, da ist es zu spat. —
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	Er sitzt schon lange so da —- den Kopf
tief auf der Brust; die Hand mit dem Brief
der Geliebten hangt schlaff auf der Seite....

Dieses hatte er gelesen:

Geliebter!

Kannst Du ahnen, weshalb ich
schreibeP — Nein? So komme und hére
das, was ich Dir jetzt nur kurz andeuten
will! — Ein alter Onkel meiner Mutter
hat mir sein ganzes Vermégen vermacht.

Ferdinand, — nicht nur ist das Hin-
derniss unserer Vereinigung dadurch
iiberwunden, sondern wir werden auch
reich sein. — O, mein Liebling — komm
bald!

Ich weiss, dass Du mich noch fiebst
noch innig. liebst — und die Zeit war so
lang!

Ich will wieder Deine lieben Augen
sehen, die ich kiisse in dem Bewusstsein,
dass nun Alles gut ist.
		Ewig Deine

Lotti