JUGEND
	Die disciplinlose Malerei, wie sie auf
der Erde gepflegt zu werden scheint, gibt
es auf dem Mars nicht. Bei uns wird die
jeweilige Kunstrichtung durch das Parla-
ment geregelt und es erlaubt sich kein
Marskiinstler so einfach nach Belieben
seinem eigenen beschrankten Unterthanen-
verstand nachzumalen. An der Spitze des
ganzen Kunstwesens steht eine dreiglieder-
ige Kunstkommission, die aus den Mit-
gliedern des Marsparlamentes auserlesen
wird, Originell wie jeder Wahlmodus auf
unserem auserwdhlten Gestirn ist auch
die Wahi des Parlamentes und der be-
treffenden Kunstkommission. Das Erstere
wird aus jenen Marsbewohnern zusammen-
gestellt, welche auf ihren Aeckern die
gréssten Kartoffeln haben — gegen-
wirtig ist bekanntlich das Centrum in
starker Majoritét. Von den Parlamentariern
wird nun wieder ein Kleeblatt auserlesen:
diejenigen Herren, welche die drei dick-
sten Képfe besitzen. Und der Besitzer
des dicksten Kopfes von diesen Dreien
wiederum wird Prasident der Kommission
— das ist der Mann, an dessen Schadel Ihre
verehrliche Spitzkugel sich plattdriickte.
	Dieser Rath der Drei — wir schicken
Ihnen seine Photographie — bestimmt nach
seinem eigenen Geschmack die jeweilig
»herrschen zu habende“Kunstrichtung, er-
nennt die Akademieprofessoren, nicht wie
es bei Ihnen stellenweise iiblich sein soll,
nach sogenanntem Talent u. s. w., sondern
nach der Qualifikation des betreffenden
Stadtpfarrers. Demnichst soll ein Marsel
der es in einem Jahre auf 4876 Beicht-
zettel gebracht hat, Akademiedirektor wer-
den fir den derzeitigen Vertreter dieses
Amtes, der nur 365 aufweisen konnte.
Von der Kunstkommission werden auch
die Kunstkritiken verfasst und verviel-
faltigt an die Zeitungen hinausgegeben,
die Bilder in den Ausstellungen gehingt
und primiirt, die Ankdufe fiir die Staats-
sammlungen gemacht. Bei allen diesen
Werthungen ist natiirlich das Leumunds-
zeugniss und der Gesinnungstiichtigkeits-
nachweis allein massgebend. Von einem
Kiinstler, der das Gliick hat, gleichzeitig
Vetter, Tauf- und Firmpathe je eines der
drei Kommissionsmitglieder zu sein, be-
sitzt unsere National-Galerie allein viele
hundert Bilder.
	Unsere Kunstakademie ist einfach gross-
artig mit allen Chikanen der Neuzeit ein-
gerichtet. Eine beigelegte Momentaufnahme
zeigt Ihnen den Anblick eines ,,Meister-
ateliers“. Der Meister sitzt in der Mitte
und ,malt vor“ und mit seiner Hand sind
durch elektrische Drihte die Hinde der
Schiiler verbunden, so dass Letztere ge-
zwungen sind, jede Bewegung der Meister-
hand mathematisch genau nachzumachen.
Die Farben werden durch Commando’s
bestimmt, so dass man z. В. aus dem
Munde des Lehrers die Ordre vernimmt:
	»Ganzes Atelier Lichtocker undKremser-
weiss!“ oder
	»Ganzes Atelier-Asphaltiasur mit Sicca-
tiv de Courtray!“
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		Es ist grossartig, was durch diese Me-
thode bei den Schiilern erreicht wird! Schon
nach wenigen Wochen sind sie dem Meister
ebenbiirtig — selbst die Talentlosesten —
und andererseits kommt auch der wider-
wartige und die Disziplin so schwer schadig-
ende Fall, dass ein Schiiler besser malt, wie
sein Lehrer, bei uns nie vor. Ueberhaupt
ist bei uns, Gott sei Dank, mit den soge-
nannten Talenten, deren Vorhandensein
auf der Erde so viel Wirrniss in die Kunst-
verhaltnisse bringt, schén lange griindlich
aufgerdumt. Wer Talent hat, der, hiitet sich
wohl, Kiinstler zu werden, ‘denn die Dis-
ziplinarstrafen fiir Zuwiderhandeln gegen
den oben ,, herrschenden“ Kunstgeschmack
sind sehr streng. Neulich musste ein hart-
nackiger, riickfalliger Pleinairist fiinfzigmal
den grossen, figurenreichen van der Werff
unserer National-Galerie copiren. Der Mann
ist griindlich bekehrt und wird jetzt mit
Stolz der Nathan Sichel des Mars genannt.

Aktmalen und-Zeichnen gibt es hier na-
tiirlich nicht. Weiter fortgeschrittene Aka-
demiker studiren im Modellsaal die Gips-
képfe unserer Kammermajoritét. Ob der
Kistler nun spater Thier- oder Historien-
maler wird, hier geniesst er die richtige
Vorbildung.

In den Ausstellungen werden alle Nu-
dititen in besonderen Kammern unterge-
bracht, deren Zugang durch Vorlege-
schlésser, Riegel und Selbstschiisse wohl
verwahrt ist. Die Kammern haben nur
versteckte Hinterpfértchen fiir die Herren
von der Commission und ihre Parteigenos-
sen, die hin und wieder einige Stunden
dort zubringen, um durch tiefgehende Ent-
viistung ihr Sittlichkeitsgefithl zu starken.
Einige der’Herrn verbringen den halben
Tag in diesen Réumen, trotzdem solche
fiir sie foérmliche Schreckenskammern sein
miissen. Man glaubt nicht, was ein Mars-
bewohner der Moral zu Liebe Alles aus-
halten kann!

Die Bilder werden, wie gesagt, in den
Ausstellungen je nach dem Fiihrungsattest,
das der betreffende Kiinstler aufzuweisen
hat, gehangt. In den Ehrensaal kommen
die Kegelbriider S. M. K6nig Jockels des
Achtzehnten, an die Rampe der iibrigen
Sale die Xiinstler, die nachweislich einer
frommen Briiderschaft angehéren u. s. w.
Bilder von Kiinstlern, die im Verdachte
	Ein Marskinstler von den ,Ultramodernen*.
	Kin Marskunstler ,,alter* Richtung.
	Kin Brief aus dem Mars
	Vielleicht erinnert sich der freundliche
Leser an unsern Bericht aus Nummer 17
dieses Blattes, worin von einer Corre-
spondenz mit den Marsbewohnern die
Rede war. Wir sandten das Projektil ins
zwischen mit einem Exemplar des steno-
graphischen Berichtes tiber die bayerischen
Kammerverhandlungen, einer Beschreib-
ung der Friedensfeier in Miinchen und
ahnlichen Curiositéten abermals in den
Mars, und gestern lieferte uns der Land-
mann Aloysius Hinterhupfer aus Unter-
haching bei Miinchen wie damals das Ge-
schoss wieder ab, das uns die Marsbe-
wohner zuriickgeschickt hatten.

Es enthielt:

einen Brief,

einige Photographien, die wir ,,um-
gezeichnet“ wiedergeben,

wieder ein Strafmandat und zwar
dieses Mal wegen Schiessens ohne Jagd-
karte.*)

Der Brief lautete:

Verehrliche Redaktion!

Sie werden Ihr Geschoss dieses Mal
in etwas defektem Zustand wiedersehen,
mit abgeplatteter Spitze. Doch das ist
nicht unsere Schuld. Als die Spitzkugel
auf dem Mars eintraf, fiel sie zufallig einem
der angesehensten Marsen, dem Prases
unserer parlamentarischen Kunstkommis-
sion, Herrn Krautkopf, auf den Kopf. Da-
durch wurde das Geschoss deformirt und
wir bitten, uns die Sache nicht falsch aus-
zulegen. Dem Kopf des Herrn Prases hat
es weiter nichts geschadet, aber der Schlag
war so stark, dass der Herr — Plattfiisse
bekam.

Das fiihrt mich zu dem eigentlichen
Thema dieses Briefes. Da Ihr Blatt, wie
ich sehe, sich viel oder hauptsdchlich mit
Kunst beschiaftigt, interessiren Sie gewiss
unsere hochentwickelten Kunstverhiltnisse
in erster Linie.
	*) Wir finden das, um uns stark auszudriicken, ein
wenig sonderbar, da wir nicht auf dem, sondern auf den
Mars geschossen haben. (О. R.)