1896
		Ernstes Spiel

von Karl Schlei.
	Cezeichnet von A. Sechmichammer.
	y»Wer von Euch jungem Blut verpflichtet sich eidlich,
zwei Dérfer zu vertrinken, wie’s der alte Raubritter da oben
gethan hat?“

»Eidlich ist ein bischen viel verlangt,“ bemerkt Schénpflug.

»Viel verlangt?~ wettert der Herr Doktor, ,Schwachlinge
seid Ihr geworden im Laufe der Jahrhunderte. Ihr habt
keine Kehlen mehr, Ihr kénnt nichts mehr vertragen. —
Bertha, noch einen Krug!“

»Na, na — nichts mehr vertragen —

yoentimentales Geflunker kénnt Ihr machen. Und gar
dieser Hartwig! reist vierundzwanzig Stunden vor dem Stift-
ungsfest ab. Ich soll ihn von seinem Vater griissen. Wo
ist erP Fichse, schafft mir den Hartwig her, oder Ihr sollt

mich kennen lernen.“
»Der Hartwig ist nach Hause gefahren, bester Doktor.“

Und warum, wenn man fragen darfP“
»Er ist so nervés geworden, dass er sich ein paar Wochen

ausruhen muss.“
»yNa, da haben wir’s ja. Ihr seid alle zusammen Schwiach-

linge. Ein baumlanger Kerl wie der Hans Hartwig, wie kann
denn so einer nervés werden? Und umgesattelt hat er auch?“
»Jawohl, er kann die Anatomie nicht mehr vertragen.“
»Der —“ den Doktor schiittelt ein Lachkrampf, ,,und
das merkt er jetzt erst im dritten Semester, nachdem er

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	so lange darin herumgesdbelt hat? Was will er denn werden ?*
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»Pfui Deiwel“, ruft der Doktor.
» Ja, wissen Sie“, erklart nun Kassewitz, ,der Hans war
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und so gut-wir mit Фиш аизоекоттеп зш@: ег Вай 2и у!е]
	Herz fur einen ehrlichen Mann, und einen Haufen wuber-
fliissige ‘Leidenschaft. Und wenn dem einmal etwas zustésst,
woriiber sich unser einer in’s Féustchen lacht oder héchstens
noch einen Vergessenheitsschoppen mehr trinkt als sonst,
da gerith unser lieber Hartwig gleich aus dem H&uschen, tobt
und schiittelt seine blonde Léwenmiahne und wehe dem, der
ihn gereizt hat.“

»Nun ?“ fragt der Doktor erstaunt.

»Diesmal hat ihn leider Gottes niemand gereizt, und
deshalb ist die Sache nur um so schlimmer geworden !“

»Was hat’s denn gegeben?“

»Eine verriickte Kellnerin hat sich ersduft; das war
alles“, fallt Fritz Schénpflug ein.

»Und deswegen hingt er die Medicin an den Nagel, des-
wegen schwdnzt er das Stiftungsfest, deswegen wird er nervés
und reist nach Hause? Wahnsinn!*

»Und Scenen hat es gegeben, bester Doktor, einfach un-
	beschreiblich. Der grosse Kerl war durch und durch geschiittelt.**
	» Weil ein Madelins Wasser gegangen ist? — ,, Eigentlich ja.“
	Ls) Junge Burschenschafter betreten um die siebente
Abendstunde das wohlbekannte Restaurant ,,zum Roden-
steiner“ in Heidelberg. Bei ihnen ist ein alter Herr derselben
Burschenschaft, zur morgigen Feier des Stiftungsfestes herbei-
gekommen. Er wird von seinen ausgelassenen jugendspriihen-
den Begleitern heiter und doch ehrerbietig behandelt. Man
hatte einen langeren Spaziergang unternommen und der alte
Herr hatte seine Freude gehabt an den Stitten seiner frohen
Studentenzeit. Sein Schloss, seine Molkenkur, seinen
K6nigsstuhl hatte er wiedergesehen, strahlender und immer
strahlender war sein Gesicht geworden. Und endlich nach
zweistiindigem Marsch durch die Walder, tiber die Berge,
da war er stehen geblieben und hatte ausgerufen:

»Mein Durst, Kinder mein Durst!

Da war man umgekehrt und zu Thal gefahren. Er wusste
den Weg noch ganz gut und wie ein wohldressirtes Pferd,
das auch ohne Fiihrung seine Stallthiir findet, war er dem
Rodensteiner zugetrottet. Nun sind sie angelangt. „Нт,“
schmunzelt der alte Herr und saugt mit Wonne die von Bier
und Tabaksdunst tibersattigte Atmosphire ein, ,,hm, wie herr-
lich!“ Und sein Auge glénzt selig angesichts des machtigen
Fasses auf dem Schenktisch und der weissen Steinkriige
tiberall im grossen Raume.

» Wo wiinschen der Herr Doktor zu sitzen?“ fragt Fritz
Schénpflug. ,,Hier, wo ich das da immer vor Augen habe.“
Er deutet auf das Bild, mit dem die eine Wand bemalt ist.

Ein urkraftiger Kerl, dieser Rodensteiner !“
	Das Bild stellt den edlen Rittersmann dar, wie er nacht-
lich mit seinem wilden Heer durch die Luft rast, voraus ein
	Monch in einer langen Kutte auf einem Pferdeskelett und
	um ihn herum seine Mannen, Knappen und Weiber, Todten-
gebein und Nachtvégel, so stiirmen sie auf ein Wirthshaus
zu, das einsam am Waldesrand steht.

„Каиз da, raus aus dem Haus da“, summt der alte Herr
vor sich hin.

» Bertha, wollen Sie uns verdursten lassen P* ruft Heinrich
von Kassewitz der voriiberlaufenden Kellnerin zu. ,,Drei
Kriige, aber schnell!“

»Prost, Fiichse !*

»Prosit, Herr Doktor!“ Der alte Herr schmunzelt und leert
seinen Krug in machtigen Ztigen, ohne abzusetzen nach lieber
Gewohnheit. Dann streicht er sich den Bart. Ein langgezogenes
Ah ist der Ausdruck seiner Gefiihle. ,,Famoser Stoff, wirklich
	ganz ausgezeichnet, man fangt an, wieder Mensch zu werden !“