Nr. 44
	Arm-Seelchen
	Von Victor Hardung, Zeichnungen von Kobert Engels.
	Der Wind stiess iiber den See, rollte Nebel-
fetzen auf, dass sie gleich zerschossenen Fahnen
flatterten, und riss dunkle Gassen in das Laub,
welches gelb auf den Buchten lag. Zur Passhiéhe
keuchte sein Athem. Gezweige klatschte, und in
grauen Streifen schlug der Regen auf den Weg,
den ein seltsames Leichengeleite zog.

Zwischen zwei Eseln, denen Schleifen in den
Landesfarben in den Schwanz geflochten waren,
hing ein schwarzer, schmuckloser Todtenbaum.
Das Grauthier zur rechten ritt ein Alter mit bart-
losem Gesichte, das durch eine Narbe, die im
Bogen von einem Ohr zum anderen iiber den Mund
lief, und eine iiberhaingende Adlernase zur lustigen
Grimasse verzerrt war. Auf dem Kopfe trug er ein
zierliches Morgenhaublein; als Peitsche fiihrte er eine
Pritsche. Sein Reiter zur Seite war ein verwitterter,
stelzbeiniger Schnauzbart, dem eine Krone von Messing
mit einem auf den Riicken fallenden Zipfel das Haupt
deckte. Auf dem Sarge hockte in einem hermelin-
verbrimten Scharlachmantel ein Aefflein, das sich
eifrig kratzte. Ein vorn und hinten Buckliger tan-
zelte unruhig hinterdrein und hielt, angstlich bedacht,
seine Miche zu verbergen, eine weisse Fahne mit der
schwarzen Inschrift: ,,So leben wir alle Tage in der
allerschénsten Saufkumpanie!“* Als Schlussgeleit folg-
ten neun humpelnde Mannen in rothen Freiheits-
miitzen, die sie wegen der Kilte so tief als méglich
tiber die Ohren gezogen hatten. Es war ein Fahnlein,
daran der Tod schon ein bis Theil Arbeit verrichtet
hatte. Dem einen fehlte ein Auge, dem anderen ein
Arm; dieser wankte auf Kriicken, jener schief zur
Seite gebeugt — alles vorniiber, dem Grab entgegen.

An der Kirchthiire harrte der Pfarrer, Ungeduld
und Verdriesslichkeit in dem runden, rothen Gesichte.
Das Aefflein fletschte ihm entgegen, als hab’ es seine
Gesdssschwielen von einer Hochschule heimgebracht
und sei von der allerneuesten Aufklérung besessen.
Da es nicht wich, bekam es ebenso wie die gedul-
digeren Esel von dem geweihten Wasser auf den Pelz,
womit der Hochwiirdige seines Amtes waltete. Dann
	JUGEND -:
		ging-es zum Grabe. Der Geistliche haspelte in Nast
sein Spriichlein ab, zog den Mantelkragen hoch und
verschwand niit langen Schritten. Alsobald entbléssten
sich die Haupter der Zwélfe und zitternd vor Kalte,
den stumpfen Ausdruck arg vom Kampfe Mitgenom-
mener in den erloschenen Augen, begannen sie mit
theils versagender, theils krichzender Stimme zu sin-
	gen: ,,Freut euch des ГеБепз!“ Der Wind wuhlte
derweil in ihren Kleidern — Hiillen, die, fiir anderes
Maass geschnitten, zu kurz oder zu lang fiir ihre
Traiger waren, wahrend die Esel mit den gesenkten
Képfen wider einander standen und das Aefflein,
einem jeden einen Arm um den Bug geschlungen,
possirlich zwischen den beiden hin- und herbaumelte.

In einem Winkel des Gottesackers lag, an die
Mauer gebaut, das Beinhaus. Dorther holten die
Mannen einen neuen, leeren Sarg, ordneten sich und
wieder zogen sie die graue Strasse. Die beiden Reiter
hatten sich in die Hinde gepustet und gespuckt, die
steifen Arme wieder und wieder um den Leib ge-
schlagen, jeder eine Trompete hervorgeholt und bliesen
jetzt mit aller Kraft ihrer hageren Backen eine lustige
Weise wider den Regen an, wozu das Aefflein auf
einer kleinen Trommel die Wirbel schlug. Der Wind
aber packte die Kiange und zerriss sie, und es waren
klagende, héhnende, murrende, grollende Tonfetzen,
die iiber dem Fahnlein verflatterten und verstoben.

Der Weg leitete thalwadrts, indess ein vergriinter
Pfad absprang und zu einer umbuschten Kuppe an-