Мг.. 44 JUGEND 15. rur dieses Amt zugefallen war. Aufnahme Heischenden gab es genug; denn, so klein die Gemeinde war, so arm war sie. Ihre jungen Burschen flogen meist aus und verschollen — wer wiederkehrte, kam heim, wund und wrack, weil er in der weiten Welt kein Platzlein zum Sterben ge- funden. Die alten Knasterbiarte in der Ruine hatten erzéhlen k6nnen von Abenteuern und Kriegsfahrten, von goldenen Wehrgehenken und schénen Frauen in Sammt und Seiden, vom Betteln und Landstreichen — aber der Wald umschloss ihr Dasein, und es war, als hatten ihre Blicke keine Ferne mehr. Wenn der Sonntag kam, der eine den anderen geputzt hatte und die absonderlichsten Barttrachten sich abzeichneten, dann klomm wohl einer aus dem Fahnlein auf ausgetre- tenen Stiegen den verfallenen Thurm hinan, lagerte sich auf der bréckeln- den Mauerkrone und ward iiber den Wipfeln weg die weite, weite Welt ge- wahr. Und seine Seele erwachte und ging durch den grauen Dammer seiner Frithlingstage, durch den heissen, funkelnden Sommer seines Lebens in den armen Herbst — und wann er wieder die Genossen griisste, lehnte das lockige Haupt der Erinnerung an seiner Schulter und lachelte. Ver- schiittete Thore sprangen auf, Fléten- und Zymbelklinge gaukelten iiber vergessenen Pfaden, und das Geleucht der Ferne blickte in all’ den miiden Augen wieder. — Das Leichenfahnlein erharrten ein blinder, silberhaariger Bettler und ein zerlumpt und dennoch zierlich ge- wandetes Madchen von etwa fiinf- zehn Jahren. Der Alte hockte auf einem abgestiirzten Mauerstein, ein Biindel neben sich, wahrend seine Begleiterin aufrecht stand, in das Ge- dérn eines wilden Rosenstrauches ge- lehnt, der an dem Thurm_ hinauf- kletterte. Den Kopf trug es frei, und der Wind hatte einen der braungol- digen Ringe um eine verkrauste und verschrumpfte spate Bliithe an kahlem Gezweige geschlungen, die so als seltsame Zierde in das Gelock ge- nestelt schien. Die Esel schrieen, der Blinde sank vorniiber in die Kniee und breitete die Arme aus. Das Geleite aber zog an ihm voriiber, als achte es nicht seiner Geberde, in den Burghot. Und ein Regenstoss schlug dem Alten in die erloschenen Lichter. Doch er kniete und hielt die Arme gebreitet. Der Wind jauchzte auf und sank zu- riick in eine angstigende Stille. Und das Madchen starrte mit grossen Augen in die Waldesfinstere, die Rechte zur Wehre geballt. Ein Schritt ward laut. Unter einem Rundbogen weg kam der Mann mit dem gezeichneten Gesichte auf den Bettler zu, der regungslos verharrte. »lch bin’s, der schwarze Hans!“ meldete sich der Ankémmling. ,,Ihr seid aufgenommen — folgt!“ Den Blinden durchschauerte ein Zittern. Seine Kinnladen flogen, su- chend tasteten seine Hinde in die Luft. Das Madchen sprang vor, die von der hastigen Bewegung losgerissene Rose im Haar, und umfasste ihn so- gleich: ,,Soll ich euch fiihren, Vater?“ Der Alte richtete sich an dem Kinde auf und stolperte an dessen Arm dem schwarzen Hans nach. In einer verrauchten Halle sassen die Mannen um den Kamin gedrangt und warmten sich an einem brennenden Baumstamme. Ein Thronsessel mit einer schon geschnitzten, vergoldeten Krone, auf der das Aefflein paradirte, stand am Kopfe eines langen, mit Holzteliern bedeckten Tisches aufge- schlagen. Dorthin leitete der schwarze Hans den Blinden, und die Mannen thaten einen Rundgang, in dem sie sich dreimal vor dem jiingsten Gliede ihrer Gemeinschaft tief verneigten. Dann schoben sie ihm eine weit- bauchige Schiissel zu und ftihrten ihm die Hand, dass er zuerst von der dampfenden Suppe schépfe. Und als er mit gierig zitternden Handen zu léffeln begonnen, schaarten sie sich schwerfallig um die Tafel. Der schwar- ze Hans sprach ein Gebet: »VMitten im Leben Sind wir vom Tod umgeben. Darum, o Mensch, bedenke seine Ranke: Mach seine Sense stumpf und schartig, Iss und trink und frew’ dich artig!“ Worauf alle riefen: ,,artig!, um sich dann an der Suppe zu erlaben. Derzeit stand das Madchen abseits, am Kamin, und seine Blicke hun- gerten. Die linke Wange war der Flamme nahe, und das Blut leuchtete