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JUGEND

15.
	 
		 
	rur dieses Amt zugefallen war.
	Aufnahme Heischenden gab es genug;
denn, so klein die Gemeinde war, so
arm war sie. Ihre jungen Burschen
flogen meist aus und verschollen —
wer wiederkehrte, kam heim, wund
und wrack, weil er in der weiten
Welt kein Platzlein zum Sterben ge-
funden. Die alten Knasterbiarte in der
Ruine hatten erzéhlen k6nnen von
Abenteuern und Kriegsfahrten, von
goldenen Wehrgehenken und schénen
Frauen in Sammt und Seiden, vom
Betteln und Landstreichen — aber
der Wald umschloss ihr Dasein, und
es war, als hatten ihre Blicke keine
Ferne mehr. Wenn der Sonntag kam,
der eine den anderen geputzt hatte
und die absonderlichsten Barttrachten
sich abzeichneten, dann klomm wohl
einer aus dem Fahnlein auf ausgetre-
tenen Stiegen den verfallenen Thurm
hinan, lagerte sich auf der bréckeln-
den Mauerkrone und ward iiber den
Wipfeln weg die weite, weite Welt ge-
wahr. Und seine Seele erwachte und
ging durch den grauen Dammer seiner
Frithlingstage, durch den heissen,
funkelnden Sommer seines Lebens
in den armen Herbst — und wann er
wieder die Genossen griisste, lehnte
das lockige Haupt der Erinnerung an
seiner Schulter und lachelte. Ver-
schiittete Thore sprangen auf, Fléten-
und Zymbelklinge gaukelten iiber
vergessenen Pfaden, und das Geleucht
der Ferne blickte in all’ den miiden
Augen wieder. —

Das Leichenfahnlein erharrten ein
blinder, silberhaariger Bettler und ein
zerlumpt und dennoch zierlich ge-
wandetes Madchen von etwa fiinf-
zehn Jahren. Der Alte hockte auf
einem abgestiirzten Mauerstein, ein
Biindel neben sich, wahrend seine
Begleiterin aufrecht stand, in das Ge-
dérn eines wilden Rosenstrauches ge-
lehnt, der an dem Thurm_ hinauf-
kletterte. Den Kopf trug es frei, und
der Wind hatte einen der braungol-

digen Ringe um eine verkrauste und
verschrumpfte spate Bliithe an kahlem
Gezweige geschlungen, die so als
seltsame Zierde in das Gelock ge-

nestelt schien.

Die Esel schrieen, der Blinde sank
vorniiber in die Kniee und breitete
die Arme aus. Das Geleite aber zog
an ihm voriiber, als achte es nicht
	seiner Geberde, in den Burghot. Und
ein Regenstoss schlug dem Alten in
	die erloschenen Lichter. Doch er
kniete und hielt die Arme gebreitet.
Der Wind jauchzte auf und sank zu-
riick in eine angstigende Stille. Und
das Madchen starrte mit grossen
Augen in die Waldesfinstere, die

Rechte zur Wehre geballt.

Ein Schritt ward laut. Unter einem
Rundbogen weg kam der Mann mit
dem gezeichneten Gesichte auf den
Bettler zu, der regungslos verharrte.

»lch bin’s, der schwarze Hans!“
meldete sich der Ankémmling. ,,Ihr
seid aufgenommen — folgt!“

Den Blinden durchschauerte ein
Zittern. Seine Kinnladen flogen, su-
chend tasteten seine Hinde in die Luft.
Das Madchen sprang vor, die von
der hastigen Bewegung losgerissene
Rose im Haar, und umfasste ihn so-
gleich: ,,Soll ich euch fiihren, Vater?“

Der Alte richtete sich an dem
Kinde auf und stolperte an dessen
Arm dem schwarzen Hans nach. In
einer verrauchten Halle sassen die
Mannen um den Kamin gedrangt und
warmten sich an einem brennenden
Baumstamme. Ein Thronsessel mit
	einer schon geschnitzten, vergoldeten
	Krone, auf der das Aefflein paradirte,
stand am Kopfe eines langen, mit
Holzteliern bedeckten Tisches aufge-
schlagen. Dorthin leitete der schwarze
Hans den Blinden, und die Mannen
thaten einen Rundgang, in dem sie
sich dreimal vor dem jiingsten Gliede
ihrer Gemeinschaft tief verneigten.
Dann schoben sie ihm eine weit-
bauchige Schiissel zu und ftihrten
ihm die Hand, dass er zuerst von
der dampfenden Suppe schépfe. Und
als er mit gierig zitternden Handen
zu léffeln begonnen, schaarten sie sich
schwerfallig um die Tafel. Der schwar-
ze Hans sprach ein Gebet:
	»VMitten im Leben
Sind wir vom Tod umgeben.
Darum, o Mensch, bedenke
	seine Ranke:
Mach seine Sense stumpf und schartig,
Iss und trink und frew’ dich artig!“
	Worauf alle riefen: ,,artig!, um
sich dann an der Suppe zu erlaben.

Derzeit stand das Madchen abseits,
am Kamin, und seine Blicke hun-
gerten. Die linke Wange war der
Flamme nahe, und das Blut leuchtete