Ew. Hochwohlgeboren!
	Zum Glick fir die Menschheit tauchen
mit der Zunahme der Bevélkerung ein-
zelner Lander auch immer neue Industrie-
zweige auf, welche den iiberschiissigen
Arbeitskraften neue Quellen zur Erwerbung
ihrer Subsistenzmittel erschliessen. So
gibt der immermehr an Ausdehnung ge-
winnende Radfahrsport Hunderttausenden
reichliches Brod, beschaftigt alle erdenk-
lichen Hilfsindustrien, und ist es darum
vom Standpunkte des Voikswirthes auf’s
Wirmste zu begriissen, wenn auch das
weibliche Geschlecht auf diese Weise zur
Hebung des Nationalwohlstandes beitragt.
Zudem bewahrt der verhaltnissmassig
billige Radfahrsport unsere Frauen vor der
Versuchtng nach _ kostspieligeren Ver-
gniigungen. Die Einfachheit der Tracht,
die er mit sich bringt, ist sehr dazu an-
gethan, den Toilettenluxus einzuschranken,
und die in Anwendung kommenden
schlichten Tuche und Wollstoffe sind zu-
dem meist Erzeugniss der einheimischen
	Fabrikation. Мататись bin ich ftr die
	Hose, denn sie eben bedingt die grosste
Einfachheit der Radfahrtoilette und damit
auch die grésste Sparsamkeit!
	Ergebenst
	Enquéte
	Was halien Sie vom Radfahren
der Damen und welches Damen-Sports-
Costiim erachten Sie fiir passend:
Rock oder Hose?
	р Frage, welche an Aktualitat nichts
zu wiinschen jfibrig lasst, wie der
freundliche Leser zugeben wird, hat die
Redaktion der ,Jugend an ein Dutzend
wissenschaftliche und andere Capazitaten
hinausgeschickt — acht der Gefragten
liessen uns in liebenswiirdiger Weise Ant-
wort zukommen, und die Summe dieser
Antworten liefert jene klare, positive Lé-
sung des Problems, wie sie eben allein
mit Hilfe solcher Enquéten zu erlangen ist.

Wir geben die Antworten ohne Com-
	mentar in Folyendem wieder:
	Ew. Hochwohigeboren!
	Natiirlich sollen sie radeln! Friscnes
Blut in die Adern, frische Luft in die
Lungen, frische Lebensfreude in’s Herz!
Wenn das gegenwirtige und kiinftige Ge-
schlecht unserer ,,Miitter durch einen
vergniglichen Sport seinen Kérper stahlt,
wird das zum Segen fir Generationen.
Wenn ein Madchen im staubigen Ballsaal
von acht Uhr Abends bis drei Uhr Morgens,
geschniirt bis zum Abbrechen und durch
zugige Winkel mit blossem Halse und
Busen rasend, ohne Schaden fiir seine
Gesundheit tanzen kann, so werden ihm
ein paar Stunden Radfahrens in frischer /
Luft gewiss nicht schlecht bekommen. = /
Und das Costiim: Hosen! Sie sind
bequem, praktisch und hygienisch!
Alle andern Riicksichten sind dummes

Zeug!
Dr. med. Hofrath Kithleborn
	Professor der Gyndkologie an der Universitat
Kyritz an der Kratter.
	Geehrter Herr!
	Dr. Ernst Schnuck
Professor der Nationalékonomie.
	(Cseehrte Redaktion!
	Unsere Frauen haben bereits zu viele
Systeme entdeckt, unser sauer verdientes
Geld zum Fenster hinauszuwerfen, als dass
wir iiber die Entdeckung eines neuen Ver-
fahrens zu diesem léblichen Zwecke be-
sonders gliicklich zu sein brauchten. Wenn
das zarte Geschlecht absolut das Bedirfniss
zur Bethatigung seiner Strampelkraft fahlt,
so kann es diese ebensogut an der Nah-
maschine effektuiren. Das Geld fitr die An-
schaffung von Radern, Reparaturen, Sports-
kleidung wtirde die Frau viel besser auf die
Sparkasse tragen, so sie’s tiberhaupt iibrig
hat. Hat sie’s aber nicht, so bringt sie der
Radfabrsport zum Schuldenmachen und
Schlimmerem oder sie knapst die Kosten
dem arbeitendem Manne am Haushalte
ab, d. h. sie spart zum Schaden der zur
Erhaltung seiner Arbeitskraft und Energie
so nothwendigen Ernahrung. Dabei уег-
liert sie mit ihrem Sport auch noch eine
Menge Zeit, die sie im Haushalt niitzlicher
verwenden kénnte: Rock oder Hose? Wenn
schon, denn schon — natirlich Rock!
Denn der ist schon da, die Hose muss
erst gekauft werden und wird zudem meist
aus theueren, soliden Stoffen hergestellt.
	Hochachtungsvoll
	Verehrteste!
	Ich weiss nicht, ob es [Ihnen mit Ihrer
Frage ernst ist? Wenn Sie wollen, dass (
unsere Frauen kérperlich und moralisch ¢
degeneriren, dass sich die Frauenkrank-
heiten ins X-fache vermehren, dass die
mit dem Radfahren verbundenen Riicken-
markserschiitterungen, eine zerstérende
Wirkung auf das Gangliensystem der
Fahrerinnen ausiibend, nach und nach die
geistige Qualitét der Nation auf’s Unheil-
voliste beeinflussen, wenn Sie das wollen,
dann treten Sie immerhin fiir’s Fahren
ein. Auf Grund einer finfzigjaihrigen
Praxis erklare ich die seit zwei Jahren
aufkommende Radfahrmanie der Damen
schlechthin fiir Massenselbstmord. Und
noch eins! Es steht fiir mich fest, dass
das Radfahren der Frau fiir den Bevélke-
rungszuwachs von grésstem Nachtheil
sein muss. Wir werden schliesslich zu
einem Geschlecht absolut steriler Frauen
gelangen, und was es fiir die Nation be-
deutet, wenn diese eine solche Eigenschaft
auf ihre Téchter vererben, brauche ich
wohl nicht auseinanderzusetzen. Die Frage:
Rock oder Hose, wird dadurch hinfallig.
Ich bin fair Keines von Beiden.
	Geheimrath Dr. Warmwickler
Furstl. Gerolsteinischer Leibarzt.
	Professor Hans Gluck
Nationalékonom.
	Vom Asthetischen Standpunkte ist jede
Einrichtung zu begriissen, welche die Aus-
bildung unseres K6rpers férdert, geschmei-
digere, muskelkraftigere, schlankere Men-
schen hervorbringt. Der absolute Mangel
an kérperlicher Thatigkeit hat in den letzten
Jahrhunderten die Frauen unserer besser
situirren Stinde der Degeneration nahe
gebracht, wir waren in Gefahr, eine eng-
briistige, wadenlose, schmalhiftige und
bleichsiichtige Rasse zu werden — das
Radfahren der Frauen rettet uns vor dieser
	Вх Wolff (Minchen}.
	816