— AWILLIN Gs - FORSCHUNG und auf die Kriminalitat. Die Intellizenz unmittelbar zu_er- fassen, sind wir nicht in der Lage; wir erschlieffen sie immer aus ihren Aufferungen, aus irgendwelchen Verhaltensweisen. Als solche kénnen wir einmal die Schulleistungen nehmen, wobei wir uns freilich dariiber im klaren sein miissen, daf die Schulleistungen nie ein eindeutiges Ergebnis der Intelligenz sind, sondern da@ Wille, Fleif und andere Faktoren bei ihrem — Zustandekommen mitwirken; immerhin stehen die Schul- leistungen natiirlich zur Intelligenz in Bezielhung. Zum andern aber kann man die Intelligenzpriifungen zur Beurteilung mit heranziehen; freilich sind auch sie nur Leistungspriifungen, die allerdings fiir die Intelligenz weit symptomatischer sind als Schulleistungen. Die Intelligenzpriifungen gestatten uns die Bestimmung des sogenannten Intelligenzalters, d. h. der Altersstufe, welcher die Intelligenz eines Individuums entspricht. Dividiert man das Lebensalter eines Menschen durch das bei der Priifung gewonnene Intelligenzaller, so erhilt man eine Zahl, die man als den Intelligenzquotienten bezeichnet, und die als fiir die Intelligenz eines Menschen charakteristisch angesehen wird. Eingehende Untersuchungen an zahlreichen einciigen und zwei- eiigen Zwillingen haben gezeigt, daf die Intelligenzquotienten der beiden eineiigen Zwillingsgeschwister nur geringe Ab- weichungen zeigen, wahrend die Unterschiede bei zweieiigen Zwillingsgeschwistern bisweilen recht erheblich sind. Aber nicht nur der Grad, sondern auch dic Art der Intelligenz erweist sich bei eineiigen Zwillingen wesentlich mehr iiber- einstimmend als bei zweieiigen Zwillingen oder anderen Ge- schwistern, Diese, besonders von v. Verschuer durchgefiihrten Untersuchungen zeigen die grofle Bedeutung der Erbanlage fiir die Entwidslung der Intelligenz und die Intelligenz- leistungen im Leben. Es muf allerdings bemerkt werden, daft einzelne Fille beobachtet worden sind, in denen eineiige Zwillinge sehr friihzeitig voneinandergetrennt wurden, wobei das eine unter giinstige, das andere unter ungiinstige soziale Bedingungen kam; dabei ist dann bei Untersuchungen im spiite- ren Leben gelegentlich eine nicht unwesentliche Abweichung der errechneten Intelligenzquotienten voneinander beobachtet wor- den. Immerhin bilden diese Fiille aber die Ausnahme; die Regel ist weitgehende Ubereinstimmung der Intelligenzquotien- ten trotz Verschiedenheit der Entwicklungsbedingungen. Bei der Beriicksichtigung der Schulleistungen haben neuere Unter- suchungen (Ida Frischeisen-Kéhler) gezeigt, da die Unterschiede in den Zeugnissen bei eineiigen Zwillingen erheblich geringer sind als bei zweieiigen Zwillingen. Am stirksten machen sich die Unterschiede in den Jahren der beginnenden Geschledchts- reife bemerkbar; sie sind, wie iibrigens erwiihnt werden mag, in den einzelnen Fichern verschieden grof. Besonders deutlich aber zeigen die Untersuchungen von Lange an kriminell gewordenen eineiigen und zweieiigen Zwillingen die Bedeutung der Erbanlage fiir die Entwicklung und Lebens- gestaltung des Menschen, Von dreizehn eineiigen Zwillingen waren beide Geschwister zehnmal und nur eines der beiden Geschwister dreimal bestraft; von diesen drei Fillen ist in einem die Diagnose der Eineiigkeit unsicher, in den beiden anderen Fiillen sind iiufere Finfliisse fiir das Zustandekommen des Verbrechens nachgewiesen oder wahrscheinlich. Bei den zweieligen Zwillingen waren von siebzehn untersuchten Paaren beide Geschwister nur in zwei Fallen bestraft, wihrend in den iibrigen [allen die Zwillingsgeschwister der bestraften Individuen in geordneten Verhiiltnissen lebten. Diese eben angefiihrien Tatsachen zeigen die Bedeutung der Erbanlage fiir das kriminelle Handeln deutlich. Die Untersuchungen iiber andere Eigenschaflen und psychische Funktionen stehen noch in den ersten Anfiingen. Die Meinungen dariiber, inwieweit Temperament und Charakter bei einciigen Zwillingen iibereinstimmen, gehen auseinander; aber offenbar besteht auch hier weitgehende Ubereinstimmung. Das Temperament gehért ja iiberhaupt zu den stabilsten, am wenigsten umstimmbaren Funktionen, das noch dazu, wie die Untersuchungen von Kretschmar und anderen gezeigt haben, eng verbunden zu sein scheint mit gewissen Eigen- tiimlichkeiten des Kérperbaucs. Aber schon die bisherigen, hier kurz besprochenen Ergebnisse der Zwillingsforschung zeigen deren Bedeutung fiir die Vererbungsforschung. Hier sind wirklich die Ausgangsbedingungen zweier Lebewesen gleich; daher Ja@t sich an ibnen der Einflu@ der Umwelt be- sonders gut verfolgen. VERERRUNCIS TARHRE Von Professor Dr. phil. et med. ERICH STERN, Maing. ahrend man friither heftig dariiber stritt, ob Leben und Schicksal des Menschen durch die angeborenen Anlagen oder die Umwelt bestimmt werden, hat man heute im allgemeinen einsehen gelernt, daf@ weder die angeborenen Anlagen noch die Umwelt allein entscheidend sind, sondern — dafi fiir die Entwicklung des Menschen Anlagen und Umwelt, das Zu- sammenwirken beider Reihen, die Bedingungen abgeben. Freilich auch heute noch gibt es Vertreter der ,,einseitigen” Theorie. Die Rassetheoretiker betonen die nahezu ausschlieftliche Bedeutung der Anlagen, die Verhaltenstheoretiker (Be- havioristen) sehen in der Umwelt das allein Richtunggebende — die weitaus iiber- wiegende Mehrzahl der Forscher aber steht auf dem Standpunkt der Konvergenz- lehre. Erst die Verbindung von Anlage und Milieu pragt des Menschen wirkliche Gestalt. Die Anlagen bieten nur Méglichkeiten, ob und wie sie Wirklichkeit werden, d. h. sich im Leben kundtun und auswirken, das entscheidet erst die Summe der Um- welteinfliisse, oder, wie Just es kiirzlich auf cine sehr priignante Formel gebracht hat: Die Anlagen priidisponieren, die Umweltbedingungen realisieren. Mit diesen Aufstellungen ist freilic: nur etwas sehr Allgemeines gesagt. Wir wissen damit noch nichts tiber das Zusammenwirken von Anlage und Umwelt im einzelnen. Welche Funktionen gehen vor allem auf die Vererbung zuriick, wie wirkt die Umwelt, was an den Lebensiuferungen ist anlage- und was erbbedingt? Diese Fragen sucht die moderne biologische Forschung zu beantworten. Um die Wirkung von Vererbung und Umwelt zu erforschen, scheint es notwendig, bestimmte Voraussetzungen zu be- achten. Man wird Menschen nehmen miissen, die méglichst die gleiche innere Veranlagung mitbekommen haben, und die auch unter den gleichen Bedingungen leben, oder die spiter unter verschiedenen Bedingungen leben; oder man wird Menschen untersuchen miissen, die verschiedene Anlagen haben, aber unter gleicien duferen Bedingungen und Einfliissen stehen. Die vollkommenste Gleichheit der Erbanlagen, die tiberhaupt denkbar ist, zeigen ein- eiige Zwillinge, d. h. Zwillinge, die aus einer einzigen befruchteten Eizelle abstammen, also aus der gleichen Erbmasse; man spricht daher auch von erbgleichen Zwillingen. Bei ihnen ist darum eine Ubereinstimmung der Erbbedingungen anzunehmen. Verbleiben sie, was wohl die Regel ist, in der gleichen Familie, so sind auch wiihrend der ersten, entscheidenden Jahre der Entwicklung die iiuferen Bedingungen relativ gleich; werden sie friiher oder spiiter getrennt, so werden nunmehr auch die Bedingungen, unter denen sie stehen, verschieden. Die zweieiigen Zwillinge stammen aus zwei verschiedenen befruchteten Fizellen; sie unterscheiden sich von anderen Geschwistern nur dadurch, daft sie gleiches Alter haben; thre Erbmasse ist verschieden. Hingegen sind die iuferen Bedingungen bei ihnen sehr weitgehend iibereinstimmend. Man hat bisweilen auch Kinder untersucht, die aus ganz verschiedenem Milieu stammen, aber sich dann in dem gemeinsamen Milieu der Erziehungsanstalt oder ces Waisenhauses zusammenfanden. Allein hier muff doch gesagt werden, da diese Kinder bei ihrer Vereinigung schon so verschiedenartige Erlebnisse — und zwar fiir ihr ganzes spiiteres Leben entscheidende Erlebnisse — hinter sich haben, daf@ bei den Bedingungen ihres Verhaltens schwer zwischen Anlage und Milieu zu sondern sein wird. Im iibrigen sei bemerkt, da ge- meinsamer Aufenthalt in cinem Hause, ja selbst in der Familie durchaus nicht immer »gleiches Milieu“ bedeutet: ein Kind wird anders behandelt als das andere, und damit sind schon Unterschiede in der Umwelteinwirkung gegeben. Am wichtigsten fiir die Vererbungsforschung sind daher die eineiigen Zwillinge, bei denen man Gleichheit der Erbanlagen voraussetzen und spiiter in die Erscheinung tretende Unierschiede im wesentlichen auf die Verschiecdenheit der Umwelteintliisse zuriickfiihren kann. So mag es also nicht wundernehmen, dafi man den eineiigen Zwillingen in den letzten Jahren eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt hat. Zuniichst sei die grofe, oft bis zum Verwechsein gehende Alnlichkeit der eineiigen Zwillinge hervorgehoben, die nicht nur auf Gesichisbildung und Gesichtsausdruck beschriinkt ist, sondern auch viele in Zahlen ausdriickbare Kérpermerkmale, wie Grifte, Gewicht, Kopfumfang, Kérperpro- portionen, zeigien weitgehende UWbereinstimmungen. Dabei iindert sich eine Reihe von Maften stirker, wenn die Bedingungen, unter denen der Mensch lebt, andere werden, so etwa das Kérpergewicht, uad wir finden in der Tat auch bei eineiigen Zwillingen hier ein Auseinandergehen der Zahlen, sobald man den einen der beiden unter andere Um- weliverhiiltnisse bringt. Wesentlid) mehr als die Kérpereigenschaften interessieren uns natiirlich die seelischen Kigenschaften: Hier sei besonders auf zwei Momente hingewiesen: auf die Intelligenz