е8 Пир ебеи nur nod eingelne verlorne Radflange; in allem Uebri-
gen ift die Hohe Seier jener idealiftifden Werke evlofden und Lei-
benfdjaft und Ravifatuy an ihre Stelle getreten. Chriftus ift eit
gequalter Martermann geworden; feine Peiniger fucyen an pobel-
haftem Gebagren ihres Gleichen. Die Sorglofigheit gegen tirper-
Tice Mangel geht bis sur Poffemhaftigheit. CEs giebt nichts UUnge-
heuerlicheres al8 die fleinen Pferddyen, welche die Reiter, die in an-
fehnlicher Menge befonders auf dem Mittelfchreine evfcheinen, gefattelt
haben und bie ihnen eher am Geibe gu Hangen fcjeinen, als daf fie
von ihnen getragen wilrden.

Dod) ift mit diefer natuvaliftifchen Wuffaffungsweife noch ein
anberes Element unmittelbar verbunden, bas gu febr eigenthtinliden
und bemerfenswerthen Vorgligen fithri. Es ift eine ganz ungewshn-
liche bramatifhe Bewegung, welche alle diefe Gruppen und Geftal-
ten evfiillt. einer ift miipig, Seder hat feinen Wntheil an der Sache
und dugert ihn, aud) wenn ev nicht unmittelbar gugreifen, falagen
ober Leiber oder fich webren darf, in beredtefter Beichenfprace. Laffer
wir unfer Wuge reine Weile auf einer eingelnen Gruppe ruhen, fo
verineinen wir in der That, alle diefe filifternden, eifernden, fchreien-
den Worte an unfer Obr feblagen gu hiven. Зи der Charafteriftit
per Geberde ift der Meifter des Werkes wahrhaft unerfespflic.
Wie in den SGcenen der aufgeregten Leidenfchaft, in ben Qualen,
welche dem Grldfer bereitet werden, in dem Streit der wwitften Gee
fellen, ме им Тем Я hadern u. f. w., fo weiff er aud) in allen
fibrigen bag vollfte bramatifde eben yu entwideln. MWuf dem grofen
Bilbe der Kreuzigung ift unter dem gufchauenden Perfonal der manz
nigfachfte Zwiejprad, der vegfte Wechfeltanfd der Mteinungen itber
den, deffer Verfdeiden man erwartet; Nebengruppen, oiefen zur
Seite, fiihren die Begiige der Handlung weiter hinaus. Gin hober
erblindeter Greig, dev gu Pferde пабе unter dem gefrenzigten Gr-
Lefer Halt (ich fenne die Cegende nicht), fdeint troy feiner Blindheit
bod) mit geiftigen Wuge gu focbauen oder in der That das Angen-
Licht guriicguerbalten. Giner umten im Vorgrunde malt forglichft —
bas Tintenfak Hingt thm am Gitrtel — bas I. №. В. Г. ай ben
Bettel und ein Wnbderer neben ihm blidt, die Hand gegen die Sonne
fchirmend, nach dem Rreugesftamme empor. Sn der Oelbergfcene
fehleicht inter den fcplafenden Singern die Schaar ber Schergen
mit flifternder Gier herau. Beim Iudastuf ftvedt Chriftus, indem
fie ihn binden, die Hand heilend itber das Obr des mit feiner Ма»
terne niedergeftiirzten Dtalchus, wahrend Petrus das Schwert trubig-
lich in die Scheide ftedt. Der Cdelfnabe, der dem Pilatus die
Wafchfehiffel worhalt, ift fic) des ganjen Gewichtes feiner amtliden
Pfliht hewukt und, wie e& fdheint, ftol; Боло, fic) dem Bufdauer
ebenfalls jeigen зи ditvfen. И.  . №.

Und nod) weiter geht dev alte Meifter. Er mifdt eine Geftalt
in bie heiligen Borginge, von denen die Berichte des Coangeliums
nichts wiffen, die aber gu feiner Zeit in Leben und Kunft eine Haupt.
rolle fpielte, — die des Narren, im vallig offiziellen Roftiim. Beim
Sudasiug ift er gegenwartig und mat zwei Rnaben auf ven Ver-
rath des falfden Slingers anfmerffam. Ebenfo bet den Schergen,
pie fic) um das Gewand des GErldjerd ftveiten; hier jigt er, zwar
febr fein, aber gang vorn in der Mitte des Meittelfdreins und deu-
tet, dem Befchauer gugewandt, mit feiner an fic) wenig decenten
Geberde auf 5а8 verfehrte Beginner des Gefindels. Und wo fie
pen Grlifer дит Rrengigung fdleppen (e8 ijt ebenfalls eine Scene
bes Mittelfdreins), ift er gary зи Roffe dabei, Боб vom Rahmen
	verdedt, aber micht minder ен тт der Wusitbung feines BWmntes.
&s ift die Rolle eines fatyrifd movralijirenden Snterlocutors, die ex
in bdiefen Gcenen fpielt, wie in fo vielen Narrenbildern der Beit
und wie — wo feine eigentlidke Heimath ift — in den theatralie
fchen Spielen, welche damals itberall an der Tagesordnung waren,

Epuard Devrient, in feiner Gefdhichte der deutfchen Schaufpiel-
funft, Hat uns зиме auf den innigen Bufammenhang dev mittelalter-
lichen Schaufpiele, namentlich derjenigen, welche die Paffion des
Erldfers gum Gegenftande Hatten, mit den grofen Schnigaltaren ber
bildenden Kunft aufmerfam gemacht: — wir fSnnen zur Beftitigung
beffen faum ein fchlagenberes Beifpiel finden, als bet Siralfunder
Altar. Wiles Chavafteriftifche und individuell Cigenthiimliche diefes
Werkes erflirt fic) aus der gewohnten Schau jener Spiele, aus der
Behandlung des heiligen Gegenftandes, die in den Spieler 6%
geworden war. Nicht unmittelbar aus dem Leben, nicht fehlichten
Sinnes aus der Gdjrift, nicht aus dev Offenbarung, welde da8 im  
Gemtiithe bewahrie und ansgetragene Wort dem innern Auge bes
Riinfilers erftehen lie, nahmt bdiefer die Motive Пи feine Daritel
lung; ev wiederholie, was bie Biihne fiir die Darftellung, und frei
lich flix ihre Bwede, beretis ausgepragt hatte. Daher diefe Fitlle
fprechender dramatifcer Begiige, deren Lebenidigteit fonft, bei dem
vielfach vorhandenen Ungefdhid in der Behandlung des Kérperlicen,
faumt beqveiflid) fein witrde. Daher died Ueberwiegen ded Leiden-
{chaftlichen, diefe Neigqung zum Gemeinen und felbft gur Ravifatur,
welche fic) in jenen Wtionen der Birhne, — ed fehlt uns nicht an
Berichten liber wild tragifche Ereigniffe, in welche vie Spiele fich ver-
wandelten, — mir gu oft geltend machte. Daher diefe forgfailtige
Ausfithrung bes Epifodifchen, des Mebenfadlicen, er Nebenfiguren,
Die anf ber Biihne, wo Sedem daran fag, Beifall gu erhalten, dop-
pelt in’s Gewicht fielen. Daher die Figur bes Narven, der auf der
Bithne vor Went nbthig war, hier aber fo hachft befremdlic) er-
fheint. Daher auch vielleicht die ungehenerlicjen Pferdebiloungen;
denn eS will mich in der That gang glaubhaft bediinfen, dak der
gute Schnigmeifter viel weniger nad natiirlichen Pferden ausgefchaut,
alg nach folden, welche die Reiter der Biihne aus арфе, Leder
und ZBeug dem eignen eibe angefdnallt fatten. Daher endlich aber
auch, all ben Befangenheiten und Whentenerlidhfeiten des Ctuzelnen
gum Зоб, der faft beraufdende, grofartig mbftifdhe Charafter des
Garen, den die Paffionsbiihne ebenfo erftrebte und mit ihren maz
иен feenifden Cinrichtungen, welde unferer heutige Opern-
fiinfte gu fpotten alles Recht haben, auf fo ergreifende Weife gur
Wirkung gu bringer wufte.

Sede Kunft hat fir fich ihr Gefey und ift vor Wem auf die
Ergvindung und die Durdbildung diefes Gefeges angewiefen. Aber
jede hat ihre Seiten, mit denen fie an nachbarliche Gebiete grengt,
ihve Elemente, die fie geeignet und unter Umftinden felbft berufer
machen, einen Theil von dem Wejen einer andern Kunft in fich aufe
zunehmen. Im Gange der Hiftorifdhen Cntwidelung dev Miinfte hat
dies VBerhialinif oft gu febhr eigenthiimliden Bilbungen gefiihrt, deren
Dafein, wenn fie fich felbjt aud) als Brwitterbildungen geben, nicht
wegzuliugnen iff ebenfalls wird 508 Verftindnig dev eingelnen
RKunft, namentlich auch das htftorifde, auf diefe Wechfelverhaltniffe
naber, — mehr, al8 e8 feither gumeift der Ball gewefen ift, ecingu-
gehen haben. Der Stralfunder Altar bildet einen Hochft chavatteri-
{Феи Beleg fiir das Vorhandenfein derartiger Wechfelbegiige.

F Kugler.