qelben Obvrringen fo feft gwifden den Echultern und per Blie mit
einem unbefdbretblichen Ausdruc von wahrhaft hauslicher Andacht —
denn er ift halb beim Evangelium, halb bet der Tocjter — auf die
lieblide Geferin geheftet, Daf man wohl mitempfinden, aber faum
ausfpredjen Yann, was Wes durd) feine trene Geele geht.
Dergleidhen Mdpfe find Triumphe der Malerei. Sie befagen
durch ihre Mimif nicht diefen oder jenen beftinmten Gebdanten,
den man fofort errath und den man ihnen in den Dtuud legen und
darunter fchreiben fonnte, wie mir e8 aflerdings verlangen, wo von
einer beftimmten Handlung die Rede ift, fondern fie faffen eine ganze
Giille, mitunter einen gaujen Sturm nod) nicht ausgeprigter Ge-
danfen zufammen und geben ben ganzen Umfang einer tiefen, inner-
Lichen Empfindung. Cin Seder wird aus dem Leben folche Gefichter
wiffen, fie pragen fic) dem Geddchiniffe unauslifdlich ein, und er-
weefen in dev Grinnerung, der fie bis in’S Reinfte geliufig find,
immer von Neuem jene tiefe Mithrung, weldhe fie guerft hervorgeru-
fen haben. Go fagt und off ein Lester Blict vor dem Wbfchiede
Dentlicher, al8 ein ganged verfloffenes Zufammenleben, was wir an
dem Scheidenden gehabt haben. Wir miiffen betheiligt fein, michte
tan wielfeicht einwenden, um fo diel aus einem Mienen{piel сиё
nehmen ju finnen. O nein, das ift nit nbthig; wir miiffen nov
geilbt fein, dem frembden Blicé unfern innern Spiegel entgegenzuhal-
ten, Dag er das Bild auffange; wir miiffen dies und jenes erfahren
haben. Dann fpredjen uns auch folde in ihrer ganzen Tiefe und
Lebendigheit in das UAntliy getvetene Seelenguftinde, wo fie bie Hand.
eines gefchidten Riinftlers hervorgebracht hat eben fo lebhaft an, wie
das Leben felber. Uns fallen noch gwet fehr fdjlagende hierher де
hivige Veifpiele cin, Das eine И ет Bild im Befig des Gerrn
Hofmaler Henfel, welches, von Leopold Mobert gemalt, einen
jungen Rauber darftellt, der an einem wunderfoinen Gommertage
in feiner Selsfdhlucht figt und in vas Thal faut; e8 find Sabre
her, dak wir bas Bild faken, aber niemals werden wir bas Феи
vergeffen, welded jeden Tag feines Lebens bis hierher bitter bereut.
Cin anberes Bild, im Befike des Herrn Banquier W. Wrongs und
von dem Franjofen Guillemin gemalt, ftellt ein junges Marden
in der Grulichen Umgebung einer Dachfammer vor; fie lehnt gegen
das Bette und betvachiet einen Hervorgesogenen Gchmuc mit einem
Geficht, in dem eine ganze Lebensgefdhichte liegt. Dod wir divfen
auf der gegenwirtigen Uusftellung verweilen und braucen nur yor
das Bild der Frau Marie Wiegmann aus Diiffeldorf gu treten:
a Sdiederfehen nach Sabren, “ ebenfalls, wie dag Bilb dev Frau
Baumann, in ebensgrife und in halben Figuren ausgefiihrt Es
ftellt cine Matrone vor, welche in ihrem Lehnfeffel rut, mit dem
Buch der Biicher auf dem Schoofe; vor thy ift ein junges Marden
niedergefniet; die Alte hat ihre Hand auf die Stiru dev unerwartet
Heimbehrenden gelegt, und beugt den Kopf devfelber juriieé, um
beffer tt ihren Эйден gu (еси. Зарег Biice begegnen fich; beide
fuchen, fchmerglich froher Empfindungen voll, nach der alten Liebe,
die thnen abhanden gefontmen ift; was e8 fei, was fie getrennt bat,
fie waren feinbdlicher geftimmt beim Sdheiden, als fie eS find beim
Wiederfehn. Die Sunge hat gu bereuen, die Wlte hat zu vergeben.
Sie wird e8; fie fucht in dem jungen energifden, falt minnlicden,
jebt von Schmerz beriihrten Ziigen nicht mehr nach ben, was fic
getvennt Hot, fie fucht nur nad dent, was fie auf immer wieder
vereinigen wird; diefe alten Hunde wollen das Kind niemals wieder
fahren Laffer. Das Evangelium, weldhes anf dent Bilde der Frau
Baumann das Vebhikel it, das die Gruppe bilbet, hier ltegt e8 als
ftumimer Benge gwifden den beiden Frauen; denn dte Liebe und
Verfopuung, die 8 predigt, begiebt fich hier thatfidlid. Die ganze
Scene muthet uns an, wie aus einem fain gefdhricbenen Frauen-
roman. Man hat nicht mit Unvedht gefagt, va pas Madden cine
fo mitnnlihe Biloung habe, dag mat eben fo wohl, und auf den

 

 
	 

erften Unblid ftete, einen Oiugling barunter verftehen werbe, went
gleid) bet naferer Belauntfdaft das lange Lockenhaar und der wetbe
lidhe vom Haupte geglittene Hut dagegen fpredien.. Wir meinen, eS
hatte michts gefchadet, wenn man hier einen Simgling vor fics
fahe. G8 ijt befannt, dag fid) in den Samilien meiftens cine arbgere
Wahloerwandtfdjaft des Baters zur Todjter und ber Mutter guint
Sohn zeigt, ats gwifden den demfelben Gefehledte agehovigen Suz
divider.

Beide hier einander gegenitbergeftellten Biloer bieten tod) ane
deve intereffante Vergleichungspuntte dar, auf weldhe wir fpdter ein-
gehen wollen, da wir gern vorher noch uns und den Sefern Rechenz
fchaft davon geben michten, marum uns die ans dem Liefften ge-
{chipften Phyfiognomien efter in der Gattungsmalerei, denn in dex
Gefchidhtsmalerei begeguen, dieje Bhyfiognomien, welche, wie wiv
oben andenteten, den ganjzen Umfang einer tiefen innerlicjen Empfine
dung flor vor Mugen legen, alfo geiftige Situationsbilder genaunt wer-
ben fiunen. Wir fragen nicht, warum uns Hitbner’s Karl V. und
Sriedrich dev Grofe, over Griin’s Napoleon in Mosfan, fondern
warum uns eta Delarode’s Napoleon in Fontainebleau und
Gallait’s Egmont in feinen lesten Mugenblicen, fo fehe ung beide
gulegt genannten Bilder anjiehen, dod) auf ihrem Gebiete nicht das
evfitllen, mas bie genannten Genvebifder auf dem ihrigen: dent ganz
get Scwerpunkt bes Bloments und die ganze Vergangenheit 618 зи
ihm in einem eingigen mimifdjen Wusdrud und in feiner ganjen
Liefe itberjengend jufammenzufaffen? — 8 liegt eben darin, dak
die Lineamente des Gefidhis und der Ausdrud des Auges doch fein
auderer fein fann, ob eS fic) um Ronigreiche und ein hijtorifces
Leben, oder um Hevzen und ein Privatleben handle. Die Gefchichte
jener Gattungsmenfchen braudjen wir faum 3x wiffer, der einfache
Gefichtsausdrud fagt uns genug und evinnert uns an Ghuliche inneve
Srlebnitfe; hiftorifhe Perfonen aber find wir nicht Whe, und wenn
wir mit ber Wiffenfohaft von ver Grofartighcit gefdhidtliger Mo-
mente an das Wbbild ihrer Trager Hinantreten, fo fommt e8 Leidht,
daw wir gu viel von diefen WAbbildern fordern, mehr als felbft ihre
Oviginale in jenen MNtomenten fiir bas Wuge geleiftet haber. Dae
rans folgt, dag wir uns hier an einer Schrante der Mtalerei befin-
Den, wo fte diejenige volle Wirfung, die Rithrung nicht blog, welde
fte bet Gattungsmenfcjen in ifrer ganjen Fille hervorgubringen ver-
ftond, fonbdern vielmehy pie Cr{chiitterung, ber Schwefterfiunft, dex
Poefie, wird tiherlajfen mitffen. Gie hat alfo fiir das bitrgerlide
Элина ausreichendere Mtittel, als fiir das biftorifche. Wan fant
aud) fagen: Gie мин e8 nicht gu einer reinen Darftelung des Dra-
matifchen bringen, e8 wird ihr beim bitrgerliden Drama gu lyrife,
beim Hiftorifden allemal zu epifd) gerathen, und bas Qyrifche rithrt
fchowt, wabrend das Gpifde gwar feo intereffirt, aber nod) nicht
er[cpiittert.

Handelt eS fich hier aber iberhaupt um die Macht und die
Traqweite der Mtittel der Wealerei, fo ditvfen wir nicht vergeifen, зи
evindgen, wie weit eine durdgebildete und meifterhafte Lechuif бус
Stoff yu tragen und zu fteigern vermag. Wir haben fchon bet Ge-
legenheit bes Bildes von Le Comte zugeftanden, dag fie in einent
gewiffen Grade fiir den yu fir; gefommenen Gedanfen ves Bile
DeS gu itherveden vermige; giebt c8 ja dod) in dev ета
ganze Darftellungsgebiete, bei denen ver Gedanfe de3 Bilbes den
allergeringften Wnfpruch an Tiefe macht, (Vlumen, Sriichte, Stilt
leben) bei denen alfo jedenfalls die MUnesfithrung die Hauptrolfe
fpielt. Se gedanfenreidher cin Darftellungsgebiet, deftoreher fann 8
pon vorne herein des voller Apparats ver Malevei enthehren, cin
Stillleben foun ihn weniger miffen, alS cin Hiftorienbilh, bet wel-
chem uns oft dle Beicnung vollfommen geniigt, Was aber von den
Darftellungsgebieten gilt, gilt auc) von den cingeluen Stoffen, und
auf die beiden Bilder guriicgeblictt, welche die Urjache gu diefer Be-