Titeraturo Blatt
	Hent(hen Runlthlattes.
	Donneritag, den 10. Ganuar.
	Sgnhalts Зелий иль еб. Roman von Mar Ring. — Brockhans’ Lefebibliothel fir Cifenbabuen und Dampfidiffe.
	Dericct und erloft.
Roman von Mar Ring. Gotha, Hugo Sdheube, 1855.
	Me Sehichien und SGliederungen der menfchlichen Gefellfcaft,
ihre Gegenfige und Conflicte, ihre Wandlungen und Amalgame
werden immer ein Hauptitoff, vielleicht der Haupiftoff des modernen
Romans fein. Bon den tiefften fociafen Problemen bis zum ober-
flacdlidften Schimmer des Tagesgefprichs bietet fie ihm das wweitefte
‘Feld, — das Feld, weldhes ver Verfaffer des vorliegenden Buches
nicht gum erften Mal mit Gli bearbeitet hat.

Wir fchicen mit Freude die Anerfennung voraus, dak der nicht
gu ben ,,verneinenden” Geiftern gehirt. Gehon der Titel deutet
dies an. Wo er immerhin die Schade bes modernen Lebens be-
vithrt, gefhicht e8 nicht nur mit dem Wunfch, fondern aud) mit dev
Hoffaung auf Belferung. Die Siinde ftvaft fich felbft ab, die
Reuigen finden Verfdhnung. Und find wir nicht iherall mit ben
Wegen einverfianden, fo treffen wir doch gern und freudig am Ziel
mit ihm gufammen, und gwar in der Wnficht, da die Rettung einer
verderbien Zeit im Sdhoogke der Familie, in jenen uvaltewigen und
immer jugendliden Verhaltniffen vom Mann zum Weibe, vom Kinde
gu Vater und Mutter ruht, dak mit Ginem Wort — dem fchinen
Schlupwort pes Buches — die Liebe GErlifung ift.

So giebt denn auch das Cine jener ewigen Berhiltniffe, das
vom Mann уши Weibe, die geeignetfte, gwar oft gebraudhte, dod
niemals abjunugende Form, um jene gefellfhaftliden Buftinde und
Conflicte, von denen wir am Gingange fpracen, poetife) zur An-
fhauung gu bringen. Und wenn in Rings Buch hier die verwshnte
Salonfhinheit Avolphine im einfach birgerliden Kreife die verlorne
Ruhe, an der Hand des wacern Farbermeifters Beer ibr Lebens-
gli findet, — dort der blafivte Riinftler Ferdinand purd) die eine
fache Unfduld feines Alpenmaddens gu Wahrheit und Karheit gue
riidgefiihrt wird, fo mufX man gugeben, dah der Berfaffer feine Wuf-
gabe fiihn und umfaffend genug evgriffen hat. — Der Faden der
Srzihlung wicelt fich einfad) und cenfequent vor uns ab. Die Ve-
gebenheiten tragen, mit ein Baar Uusnahmen, einen gewiffen Stem-
pel ber Mothwendigheit. C8 find dies alles Borziige, die man felbft-
verftindlich fehr hod) angufchlagen hat.

Subeffen, find die Contouren auch ficher gezeidnet, die Lofal-
farben breit und fraftig hingefebt, fehlt e8 aud) an Vict und Schat-
tent nicht, fo find doch, — wenn man uné geftattet, in dex male-
vifchen Metapher zu bleiben, — die Mitteltinten faft durdhweg
gu fehr vernachlaffigt, als Боб пе das Werk fiir ein finftlerifa
vollendetes erfliven ditrfien. Dte Mitteltinter aber find e8, die
einem Gemilde plaftifdhe Rundung und Realitat verleihen. Sie
fordern bie Arbeit und den Fleif des Kitnftlers bet der Ausfithrung
feiner Conception am meiften heraus, in ihnen Ltegt aber gugleich
fein Triumph verborgen.

Qiterature Blatt.
	Bir meinen damit gunddit, Dag der Berfaffer fich allzu oft
begniigt Hat, Situationen (inneve wie Gufere) gu fdhildern, Пан
fie organife) vor uns herbeigufithren. Damit hangt gufammen die
Sorglofigtett, mit welder ver VBerf. fortgefest feine Heldin in un-
glaubliche Situationen bringt. Pliglich befindet fic) die gefeterte
Schinheit, welche jdhon durd einen redlicjen Mann und ihren eig-
пей Suftinft vor einem sweideutigen Magnetifenr und einem ungivei-
deutigen Wiiftling gewarnt worden, fic) dennoch mit diefem alfein
an einem fchwitlen Nadmittage bet gefchloffenen Saloufieen in ihrem
Zimmer; e8 wird durd) Nidts motivirt, wie das zugehen fonnte.
Sie wird von ihm eingefdhlafert und uns dard ein (Cwenigitens
pfipdologifches) Winder gevettet. Sie verfehwindet unbemerit (!)
aus einem Ballfaal, deffen unausgefegt betwunderte Krone fie ift,
um tw cinem abgelegenen Gemach in Langer geheimer Unterredung
mit einem alten Sitrften gu evfafven, was fie eben jest nad dem
Laufe der Gefchichte erfahren mug. Aehnliher Mittheitungen tegen
mug fie vor einer Alpenherberge um Mtitternacht im Mondfdein
ein einfames Gefprich mit dem Garber Halter. Wir geben зи, diefe
Situationen, beffer diefe Untervedungen, waren fiir den Gang dev
Handlung nothwendig; aber wir glauben, der Verf. mufte fie auf
eine minder befrembende, zauberhafte Weife herbeifithren. Der Bo-
ben Des Romans ift einmal die Wirklichfeit, nicht blof in Begug
auf den Stoff im Wllgemeinen, fondern auch in Betracht der Situa-
tionen im Bejfondern.

Wir miiffen hier auf die Gefahr, den Lefern bes Momansg
einige SGpanuung зи nehmen, etwas Maberes von der Sefchichte der
jhinen Adolphine von Зи смен, Bhr Vater, ein auf feby
gweideutigem Wege baronifirter Lieferant, witnfdt fie mit einem vor-
nehimen, aber unbedentenden und verderbten jnngen Herr, Graf
Bangor, gu vermahlen, theils aus Spefulation, theils um fic) ferbft
wieder mit einer intriguanten Wittwe verheivathen zu fonnen. Gie
hot eigentlid) nichts dagegen, da fie tiber den gefihrlidien Magneti-
feur enttiufeht, fiir den Sirber mur einer freundfcaftlicien Bunei-
gung fich betouftt tft. Wher dagwifden tritt der Fitrft (fein Sou-
verain, fondern nur ein grofer Staatsmann), der Graf Bangors
innere Crbarmlichfeit feunt und dem Fraulein enthillt; iibrigens
aber nicht nur ify Pathe und Befchiiger, fondern in den Augen dev
Welt fogar ihr — Vater ft, (Wir fommen auf dicen Punit gu-
vid.) Geine Worte fcheinen ihr den Letstern Umftand yu vervathen.
Sie gerath in Vergweiflung bet dem Gedanfen, ihre Mutter ver
Dammen gu miifjen, und entflieht Nachis mit ihrer Rammerfrau.
Aber wiht nad) Waldau gu ihrer ehrwiirdigen Grofmutter, deren
Liebe fie fier fein, Die fie ber das furdtbare Geheimnif vielleicht
auffliven fonnte, fondern — wir wiffen nicht recht warum — nad
Miinchen. Georg Becher, der Farber, dev fie friher auf einer
Gebirgsreife fennen gelernt hat, beilanfig aud) ein Waldauer, und
ihy Sugendgefpiele it, Tommt, einen berithmten Shemifer gu conful-

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