Darftellung. Wollte der BVerf. den Gedanfen, mit dem er fcblieft,
(das Ulte ftitrst, e8 dnbert fich die Beit” u. f. w. hervorheben, fo
hatte die folgende Periode unter Rurfiirft Friedrich IL, in welcher
der eigentlide ,,Sturz des Alten  vor fich ging, dazu das geeigne-
tere Material geboten, und man hatte bei der entfchetdenden Rata-
ftvophe diefer Periode verweilen und die alfju umfaffende Ginleitung,
wie aud) ben gripten Theil der an fich immerhin intereffanten De-
tails erfparen fuer.

Sm Intereffe ves ,,efegarten” wite zu wiinfden, dak Бет
felbe von feinem bisherigen Prinzip, in jeden eingelnen Heftchen
feine verjdiedenen Richtungen, Kunft, Wiffenfehaft und Viteratuy,
purd) mebrere, gum Theil ffizzenhafte Arbeiten vertreten gu Iaffen,
abliefe und e8 norgdge, nur foldjen Beitragen, dte erfchdpfender
ihren Gtoffen geniigen, Raum 3u geben.
	Schaskaftlein des Gevattersmanns,
Bon Berthold URnerbacd. Stutigart und Wngsburg bei Cotta. 1856.
	„Цебех der Stubenthiir ift mod) tr manden Haufern tn Stadt
und Dorf ein Brett, worauf Biidher yur Erbauung und Crheiterung
liegen. Dtan darf е8 wohl aud) als ein Ginnbild anfehen, ав
man beim Gintvitt in eine Hauslichfeit die gefammtelte Cinheit deffen,
was den Familiengeift beftimmt, itber fic) habe. — Der Gedante,
dag e8 vergdunt ware, aud) ein Plagchen auf jeter oberen Sdhwelle
zu haben und in ftillen Stunden angerufen gu werden, wer НИ
fich nicht Dadurd) exhoben? 

Mit diefen Worten fihrt der Verfaffer fein vorliegendes Bud
bei dent Refer ein; fie fagen uns deutlider, als auch die befte Be-
{creibung e8 fdunte, was es fein, wem e8 gebiren, woju es dienen
will, und geben uns fo entfdieden den Mofftab in die Hand, wo-
mit e8 gemeffen werden fol. Ob die KritiE eines folchen Buches
aber aud) den Leferfreis фев, die innige Begiehung gur Kunft ein-
haltenden, Blattes intereffiren wird? Wabhrlid), wenn e8 jenem
Makftabe irgend entfpridt, dann gehirt nidjt bloR die objective
Sehigung feines Werthes vor das Forum unferer Lefer, foudern es
mug ihnen auc) durch Rectiive gu eigen werden. Wir rechnen auch
dies gum Priifftein eines wahrhaft werthootlen Volksbuches , dak es
{Фон ben unterften Stufen der Bilbung zugingig, aber aud den
Hichften nod begehrenswerth, bak eS jenen fdpon flar und bdiefen
nod tiet genug iff; auf jenem Brett itber der Stubenthir fteht,
‘wenn irgend eins, ancy das Buch aller Biicher, die Bibel; aber
aud) im AUllerheiligiten des Tempels in der heiligen Yabe lagen die
fteinernen Tafeln mit den einfachften Gagen devfelben, weldhe auch
im WUllerheiligiten der Wiffenfdhaft den ewigen Text einer unendlich
entwicelungsfihigen Lehre ansmadjen. Das Wabhre Ш eben das
ieffte und Reichfte, gugleid) aber das Ginfadhite.

Der Inhalt ved Buches ift mannigfaltig, wie fon der Titel
anbentet; man foun ihn bezeidynen als: Gefchidhten und Gebanten;
pergeftalt, dab eine Gefdhidhte mancdhmal nur die Ausfiihrung eines:
Gedanfens ift, mander Gedanfe aber ein allegorifcjes oder fiymbo-
Lifes Gewand in einer Anefdote oder Fabel aunimmt. Die eigent-
Lihen Grzihlungen von grfevert Umfange find Dorf. und Stadt-
gefchichten, Nowellen oder ausgefithrie, auf eine praftifde Lehre
zielende, Uneldote. ES find parunter einige Perlen von hohem
Werth, fo 3 B. gleich vie exfte: das Sparkaffenbiichlein,  dann:
der Leste Heimathstag eines Answanverers,  ,, die Kaiferfurce”
und ,, der Ruf des Kaifers” Gwet Gefchichten aus dem Leben Kaifer
Sofephs), vor aller aber ,,dev Gegen des Grofeaters.  Sie find
famtlicy dem Sualt und der Form nach ебу von einander ver-
fchieden, balv ffitchtige Skizzen, Kartonzeichuungen, wie Studien,
bald Heine, aber wobhlausgefithrte, mit frifdben und fraftigen Farben

 
	 

 belebte Mtintaturbiloden. Gerabe die an Umfang gripte Gefdhichte
aber, „рег Bieredig ober die amerifanifde Rifte,” fdeint une
bie an Gehalt und Schinheit fdwidfte gu fein. Der Stoff
entbehrt be8 praftifcben Meizes und ber inneren Wnziehungstraft;
und darum fteht fie durcdhaus unter dem Niveau von des Berfaffers
fritheren eiftungen auf diefem Gebiete feiner fo eigenthitmlicjen
SGehipfung. Cer eingige Vorgug ift hier die chavalteriftifde Rlein-
maleret, die Wahrheit in der WAuffaffung gang individueller Vor-
gange in ber Geele. Wi gehdren gu denen, welde der vealiftifden
Vendeng des Gerfaffers vollfommene Berechtigung gugeftehen; uv
mug die Wahrheit der Schilberung in ver Puefie allemal auf einen
des Kunfifleibes wiirdigen Gegenftand gerichtet fein.

Wir finnen nidjt umbin, bet diefer Gelegenheit cine hierher
gehirige Gtreitfrage gu berithren; von andever Seite Бех пеш,
hat man Unerbach pen Vorwurf gemacht, daw feine Banern und
Deren Lebensereigniffe noc) nicht realijtifd genug aufgefabt, daf fie,
gu febr von der Poefie angehancht find und der Wirklichfeit nicht
gang entfprechen. Dtan beruft fich hierbet gewodhnlich anf die Gre:
fahrung und die eigene UWnfdhauung, und meint in bem Leben der:
Bauern jene poetifden Elemente nicht entdecken зи fdnnen. Wir,
ftveiten nidjt dagegen, daB fte diefe Erfahrung gemacht, und dap fie!
eine in ihrem Ginne ganz ridtige Wnfdauung haben; aber fie рег»
fennen ganglic) bas Ween per Realitat in ber Poefie. Darin пешие
lid) unterfcheidet fid) eben da8 Wuge des Dichters von dem des:
Raien und Bdioten, daG jeer poetifde Begichungen, ideale VWerhalt-
ие entbedit, wo diefer nur die flace Profa fieht; wenn cin Dich-
tev. mit feinem Giihrer in einer Gegend wandert, dann wird diefer
Die Landfchaft eben fo gut unb gewifs nod) beffer fennen als jener,
fie fehen beide diefelbe Gache, und bod) wird fie dem Ginen gue
Dichtung, indeR ver Wnbdere ftumpf dbaran vorliber geht. Und mit
menfdlicjen Bezichungen und Shavatteren verhalt e8 fic) ganz eben
fo, mur Daw hier die Gegenftinde noch viel reider und darum den
weiteren Differengen zugingiger find. Dazu fommt, dak der Dichter,
um der Realitat gu geniigen und gu entfpreden, nidt was alle Tage
о und wirllich gefchieht, fondern mur twas gefchehen fann, was
innerhalb bes beftimmten Gebietes miglich ift, guv Darftellung
walt, Bon der Realitdt weidt fir den Dichter nur Hasjenige ab,
was einent gegebenen Charatier widerfpricht, was tunerhalh deffelben
unmiglich ift; wicht aber iff, was blod felten und vereingelt erfcheint,
paruim unwirtlich. Gollten wir diefe Anfidht an einem Beifpiel aus
Dent vorliegenden Werke begriinden, fo wiirbe der ,,leste Thorwart
von Offenburg  dagu gar fehr gefdhict fein; gemif alle Offenburger
pie ifn fannten, haben nie‘unbd in feinem einjelnen Ntomente feiner
fauertipfifcen Erfcheinung etwas Poetijdes an ihm enthecten finnen,
— und doch bietet das Gange feines Dafeins, von aller Komif
abgefehen, gevabezu etwas von der Lragif des Zeitenwedfels. Da
pie ganze Grzahlung vom Thurmwart Bart, mit dem Beinamen
SGeOHliffelbart, gu lang ift, wollen wir als Beleg nur den SHiug
herfegen:

Das grofe thirmibutide Stadtthor wurde abgebroden unb die grofe Пе
nevite Frage, jut iiber der Thorwdlbung, die gegen alle Anfommenden die Bunge
herausftredte and fo griesgrinttic) dveinfah, dhntid) wie der Thorwart, wirbe
beim Wbbruch gerfdlagen.

Seit bem BVerfhwinden bes Khurmes war e8 unferm Xhorwart mun immer,
al8 ob mat ihnt die Angenbrauen abgefdoren hatte; er blingelte mum nod drgere
lid) und Lehauptete, im Gommer fonue er e8 vor fdattenlojer Hige und im
Winter vor Sturmwehen gar nicht mehr anshalten; dabei jpittelte er Hber die
Stadthewohner, vie er beim Wus- unb Eingang ftellte und fagte gu inen: fie
Hatten bic alte Reissftadt gum Dorfe gentacht, denn was fet eine Stadt anders
als ein Dorf, wenn fie fein Thor mehr habe? DMtan werbe balh felen, е8 giibe
gav feinen Sufammenhalt mehr, jest мате тай binausbanen und die -ganje
Stadt wire nicjts alS eine anfgefprungene Wurft, wahrend frither bas Thor der
Bindfaden gemefen war, der fie zufammenbielt, Mber e8 fant nod fdhlinmer.
Die Cifenbahn wurde abgeftet, unfer Sehliiffelbart fnchte itber bas cinfaltige