Wie reich alfo aud) die Quellen der Meittheilung frember 308»
lieder feit der erften dffentlichen Uufmertfamfeit auf diefelben Той
unansgefebt flieBen migen, fo wird uns dod) jede Enthedung befon-
bers einer nenen Ouelle und felbft die Wiedererdffnung einer alten
in hohem Wage evfreulich und danfenswerth fceinen.

Die Wiffenfdjaft breitet ihre Mewe immer weiter und weiter
aus, nicht Blof ang pen uncivilifivten, jumeilen fogar 5х @фий
uufundigen Cindern, bringer und gebildete Mtiffionare vie Erftlinge
ihver geiftigen Ernte, fondern fogar in folchen Qindern, wo die
Bildung nocd nicht heimifd, fehen wir eine gelehrfame Kultur nicht
пит die eigenen Gchike famimeln, fondern auch frembde dagu haufen.
Legteres gilt befonders bon Rufland. Dort findet fic) neben der
afodemifden Thitigheit, die an dev im Hidfien Sinne allgemeinen
geiftigen WUrbeit der enropaifden Wilfenfcdbaft, insbefondeve ber Lin-
guiftit erheblic) Sheil nimmt, nod) ein Streben dev EHldfterlichen
Mue dem des Meittelalters vergleihbar. Go find denn viele M-
fter mit reiden Schigken theifs nordifdy-occidentaler, thetls ovienta-
lifer Handfehriften angefiillt; insbefondere finden fic) bafelbft maf-
fenhafte Anthologieen in Mtauuferipten, die entweder neben dem
Urtert theils in bie alt flavifce Rirdhenfprache, theils in bie mo-
Derne cufjifehe Sprache iiberfest auftreten, oder auch blog, mit Ueber-
gebung der Urferift, in die Legteren Sprachen itbertragen erfchet-
nen. Wus einer foldben Quelle ift die vorlicgende eine Gammiung
arabifdher Volkslieder entnommen, und bon dem Herausgeber ins
Deutfcdhe tibertragen, welde die itbrigen Gammlungen, die wir aus
direlter Quelle bereits befigen, gu ergingen wohl geeignet ift. (Dte
Borrede enthalt ausfiihrlichen Bericht iiber jene RKlofterbibliothefen.)

Sut Gutereffe ber Literaturgefchichte ift e8 gu bedauern, dak
jene Sammlungen nur eine unvollftindige Ungabe, fowohl der Beit,
al der Wittoren bieten, denen wir bdiefe Dichtungen verdanfen.
So wiel aber ift gewif, рав ем grofer Theil ver vorliegenden Ge-
dicshte, wenn aud) fpater gefammelt, dennod) ber vormohainedanifden
Poefie der Araber angehiren, vaher der Herausgeber fie mit dem
Namen der ,, Wiiftenharfe” begeichnen durfte.

Der Gegenfag jener urfpritnglichen von ben im ber Witfte umber-
giebenden Bedewinen gepflegten Bolkspoefie und der nacmahomedani-
fchen Rultur- und Runftpoefie iff befannt. In dev vorliegenden Gamm-
{ung fonn man ben fpegififeen Chavalter wabrer Volfsdictung fdon
davin twiebdererfermen, dak faft alle immer nur den einen und fel-
bigen Zug der poetifden Empfindung ausfpreden, von einer indivi-
pueflen Anfchauungs- oder Gefithlaweife aber faum eine Spur anjzu-
treffen НЕ Msdhte die Begabung ber Dichter, die Fille und die
Rebendigheit ihrer Phantafie auch nod) fo werfchieden gewejen fein,
fo ift pod) fowohl ber Gegenftand und Snhalt ihrer Dichtung, als
aud) die Weife ver Darftellung durdhans die gleide. Wan fann
fagen, alle viefe Gedidjte fonnten von Cinem und jedes von When
gedichtet fein; e8 ift eben unr der allgemeine Geift des Volkes oder
der poetifehe Sinn deffelben, welder im Cinzelnen lebendig ift, obne
pow feiner individuctlen Natur, welche aud) wohl faum vorhanden
ift, wefentlich modifizirt gu werden. Cine eigentlide Mtannigfaltig-
Feit zeigt fic) nuv in den verfdiedenen Urten der Didhtung, und eine
zig und alfein in Begugq auf diefe michte die Bubdividralitat fic
geltend gemacht haben, inbdem ber Gingelne die eine oder andere gu
pflegen fic) berufen fiihlte. Go enthilt die vorliegende Sammlung
10 Biidher, die nach dem poctifchen Swhalt verfdhieden find. Sdhon
aus dem blofenr Babhlenverhiltnig, in weldem die verfchicdenen
Biicher gu einander fichen, fnnte man den eigenthitmlidjen Charat-
ter fowohl des Bolfes al8 feiner Poefte ermefjen; denn e& ijt ge-
wif, bag nidt bie Willfiihr bes Heransgebers, wohl aber ein rich-
tiger ethnographifdher Sinn ihn bei der Wahl der Anzahl aus jeder
rt geleitet hat. Wir geben dePhalb zundchft das Iunbhaltsverjcichnif
nebft ber Anzahl ber Gedichte eines jeden Buches. 1) Lieder der
	Durd) Бове Stride paufirt it; Ме ЗеИииа ш Жаре яфег Бане
exforbdert, dafi jedes einen Rubhepuntt biloet und eine irgendwie ab-
gefdloffene Handlungsfphare enthielte.

Nehnlich wie in der Schilberung der pfychologifcen Besiehun-
gen, ergeft e8 dem Berf. in Bezug auf vie Arsmalung der Lofalitat  

and der Situation itberhanpt. Der (ofale Hintergrund, welden ber
Dichter zeichuet, ift frets angemeffen, eben fo genau als gliiclich
gedadht; aber die Ausfiihrlichfeit der Schilderung wird der Klarheit:
oft eben fo leicht Nachtheil ale Bortheil bringen; eingelne folder
Momente leuchten vurd) Haffifche Feinheit hervor, aber fie find es
bann auc, welde allein in der Phantafie ves Lefers haften, indek
alles Uebrige fich nuv alé Ballaft oaran hangt. Durchaus vorgiig-
fic aber ift die Schifoerung der Gemitternadt bis in alle Cinjeln-.
Heiten hinein; die Grdge bes Moments ertragt und erfordert die
Kieinheit in ver Ausmalung; die Starke des Bntereffes verleiht der
Phantafie Spanntraft genug, um fid) langfom und nad allen Seiten
hin gu bewegen; aber je geringer fonft bie Ereigniffe, defto jehneller
mug man fie vergegentwirtigen.

Noch miifjen wir ein Wort iiber den Styl bes Didhters fagen.
Der Ausdrucé ijt immer edel, guweilen auferordentlich treffend; vie
Redewendung aber ift ungewsbhulich, oft feltfam; ihre Wbweichung ift
jedoch eben fo fchwer gu charafterifiven, al8 fLeicht herausjufinden.
Unangenehin fallt augerdem eine gewiffe Ungleichmagigteit res Style
auf; and) die haufigen gang furzen Gage mit darauf folgenden vielen
angen wirken disharmonifes, gumal aber leiven die Legteren oft an einer
Ungelenfigteit, welche ebenfo unleidlich ift, ale fie leicht gu vermeiben
war. Wuf ©. 287 findet fic ein ansgezetdneter pfycdologifever
Gedanfe (von der Uchertragung verfdhiedener Geiftesfpharen auf ein-
ander) burdh die ungelenfe Form faft entftellt; cin Gat fautet da-
felbft: ,, Die dunfle Vorftelfung, als ftehe er wie an feinem Tifche,
und, bewegt ev fich, eh’ er fich umgefehen, fSnne er etwas wie ein
Tintenfaok auf etwas wie Wafche oder cin werthvolles Papier wer:
fer; of? dem Ing die angftvolle Vorahnung зи Grunde, er Виие
mit Giner Bewegung Ctwas verderben, was nicht wieder gut ju
maden fey.  Wir меш dergleichen Rleinigteiten um fo ftrenger,
je leichter fie gu wermeiden find, und je mebr fie oft ren Genug
bes Guten und Beften erfchweren. Wir wiinfden, dak der Ber.
Dies und was wir fonft gu citgen uns aus Hochachtung gedrungen
fiblten, in fitnftigen Werken, jo weit 8 ihm einleudtet, beherzigen
mige; wir wiinfden aber nod) bei tweitem inniger und lebhafter, dag
ex Rroft und Due finden modge, die Mation mit ferneren Gbulichen
MWerfen zu beglicen, die wir, trog allen Tadel& ihrer Febler, wie
piefes mit tiefinniaftem Danke aufuchmen werden.

 
 

 

 
	Die Wiaftenharfe.
Gine Sammlung arabifher Volksieder. Bon Dr. Gulins Wltmaun.
Leipzig, 1856.

Auch dev unerfattlidfte Tourift foun endlid) der bunten Ge-
mialbe und ber prachtvollen Sdloffer mide werden, die er in rafder
Solge zu fehen und gu geniefen fic) gefehnt hatte; aber an ber ein-
facken Sdinkeit eines Wiefengrundes, eines Walddictights, wird er
fich bei allem Wechfel und bet allem Cinerlet immer wieder evfreuen
nnd den MReiz der Matur wird jedergeit empfinden, wer jemals fiir
ihn empfinglid) gewefer. Gine in gleicher Weife unverivelflich
frifde WAngichungstraft iibt die Bollspoefie auf jedes empfingliche
Gemiith aus. WAber auch dem betradhtenden Geifte gewahrt fie eine
Befoudere Befriedigung, wenn er im Geunffe und der Anfehauung
biefer unmittelbaren Erzeugniffe des Vollsgeiftes jich von bem Gin-
gelnen erhebt yur Gergleidhung bes Verfchiedenen in ven verfchiede-
nen Bweigen am Stammbaume der Menfchbeit.