30 Mian fpricht immer oon einem ,, Bolkstheater” und bildet fich ein, ein folches gefcjaffen yu haben, wenn man alferhand trivialen Unflath oder fcheufliche frangififche Marquis und edle Drofdfen- tutfder (,, Vater und Mittter aus dem Vole ) auf die Bithne bringt. Das aber ift fo wenig ein Volkstheater, wie vie Cavallerie-Boefieen eines alten Rittueifters aus der Scherenberg-Sehule ein Volfstied find. Der Usmftand, dak id) von Rinig und Vaterland, von Land- webhr und Dennewig fpreche, macht noch feine Bolfspoefie und die Rarvifaturen von ,, Gevatter Schneider und Handfchubmacher“, gletd- viel nach welder Seite hin outvivt, fchaffen noch fein Bolkstheater. Sch mag uicht behaupten, dak Schiller innner Recht gehabt hat und daB fein anderer Weg nach Rom fithrt, als ber feine, aber e8 bleibt eine ewig behergigensiverthe Lehre, da} jetne DOramen und feine Dichtungen das Cigenthum unferes Volks geworden find. Der Achte Dichter des Bolles ift gugletd ein Lehrer bes Volks; ev fteigt nicht Hevab, ev sieht gu fic) hinauf. Und feine Runft ift die, dak er das alles nicht zeigt, dag ev Lehrt ohne die Mtiene des Lehrers, paw ev gu fpielen und leicht gu unterhalten jcheint, wo ev bildet und die Samenfdrner guier Gedanfen und дует Thaten мен. Dag Shiller in diefem Ginne ein Bolksdicter gewefen fet, wird faum noch. befivitten, aber Shatejpeare gilt noch immer als etwas @Upar- te8, al8 caviar for the people. Gin Hauflein Gebitdeter bidet fic) eit, eingig und allein im Gchoo® ded allen felig machenden Shakefpeare Play gu haben. Bei uns habe fie Recht, aber aud) nur bei wns. BWoran liegt das? G8 liegt davan, bak man bei ung den Shafefpeare uur fiir die Gebildeten fpielt. Das fingt fondevbar und ift boc) Har und verftinbdlid) fitr jeden, der Gelegen- Heit gehabt hat, еше еше Wufflihrung des Shatefpeave mit einer englifden gu vergleichen. Wir find beftindig barauf ans, absutinen, pie fraffer Stellen weggufdneiden, nirgends UnftoR gu geben, weder Durch die duperften Sehrecen, nod) durd) den auferfien Humor; wir find in beftindiger Furcdht, was unfere Neunmalflugen dagu fagen werden, wir finden die Kampf. und Schladtfcenen abfolut licher- lich und Schaufpieler und Bufchauer gratuliven fich gegenfeitig, wenn dex Waffens und Trommellarm voriiber iff, Wir find fo febr „вебе“ und weil Divettion und Schaufpieler doch nidt gern das Gegentheil davon fein michten, fo селен Пе ben Shatefpeare, um nicht gu fager, fie faftriven thu. Dicfer entmaunte Shafefpeare, der gar fein ordentlicher Ghafefpeave mehr ЦЕ, taugt freilich nicht fiiv’s Volk; die Feinheiten des Dialogs werden iiberhirt oder nicht perfiarbden, und was man an vevber, allerdugerlichfter Зои dem Sti gelaffen hat, das vermag in feiner fliglichen Halbheit nur Lacherlich gu wirfen. Wie anders hier. Man hat hier den Muth (ein abermatiger Segen alt-englifder Tradition) den gangzen Shakefpeare gu geben, unbefchnitten und unverftiimmelt. Die Mittel, die man dabei in’s Werk fewt, find in den verfchiedenen Theatern verfchieden; die guten Biihnen wirken durch Hiftorifde Treue, die fehledten ourch genve- hafte Derbheit; aber das Pringip fo gu fagen der Nicht-Intervention eines fiberfeinerten Gefchmacds bleibt in allen Theatern daffelbe. Benn Heinrich Perch und Heinrich Monmouth int Kean fen Thea- ter fechten, fo fechten fie wie die beiden Helden einft wirflich gee fochten haben migen; wenn diefelben Helden im Goho- oder Stan- pard- Theater auf einander Losfchlagen, fo ift e8 fein vitterlides Sedhien mehr, aber e8 ift gum wentgften noch cin tichtiges, hers erquidendes Boren; wenn indeffen in Verlin Hery Liedtide und Herr Deffoix aufeitander losgehen, fo gefchieht e8 nur aus Gefalligteit und alle Welt — die beiden Herven an der Spike — ift froh, wenn bie Pomidie vovitber iff. Diefer Unterfchied zwifden deutfdher und englifcer BWuffihrung des Shafefpeare И von atfergrdfteu Belang. Seder, der feiten Shatefpeare gelefen hat, щей, рав па: mentlich die Hiftorifden Stiide reid) jind an Geenen, die -unfere Diveftionen in Verlegenheit und hinterher unfer Publifunt in Lange: weile verjegen. Diefelben Scenen find hier da8 Gaudium pes Bue blifums. Diefer Zuftand der Dinge muk man bet uns wiedcrber- guftellen fudjen, oder man mug den Shatefpeare gang fallen laffer. Wir find gu fein und haben nichts anderes von dicfer Feinheit, alg Cinbufge an Linftlevifchem Genuf. Shafefpeare ift ein Bolfs- dichter, cin Dichter fiir alle Schichten des Зо. BVerlieren wir bas nicht aus dem Auge und forgen wir dafiir, daf unfere Hamlets nicht nur ihre Mtonologe (bet denen fic) die Galerie Langweilt) de- Hamiven, fondern im fiinfter Wit mit dent frangsfifdhen Rappier aud) fechten иле. . Und nun guritd зи Antonius und Cleopatra. Rann einem Ar- beitsmann von den Werften und einem Grenadier von der fchotti- fcher Siifilier-Garde (gwifdhen beiden faf id) ivgend etwas auf der Gottes Welt fremder und gleichgitltiger fein, als vas Schicfal ves Antonius und der Cleopatra? Sicherlid) nidt. Und doch enthatt das Sti die Clemente, die, bei vichtiger Benubung, gundchft in allerauperlich(ter Weife den Avbeiter oder den Soldbaten damit be- freunden mitffen. Die Sphinze, die, betlaufig bemerit, itberall um- herliegen wie Stefel oder Hausgerath, befdsaftigen entiveder feine Ginbiloungstraft oder find ihm liebe Befannte vom dayptifcen Уве feum her; die Trinkfcene, wo er, die Grofiwitrdentrager Poms wie englifhe Matrojen umberftolpern und unter den Tifch fallen fiebt, evinnert ifn an feine eigene Gebvedjlichfeit und fiihrt ihn die alten riumvirn ,,menfejlid) naher ; die Roquetterie Cleopatra’s, die der glirnenden Geliebten gefiigig madt, mabnt ihn an die verfdjiedenen ‘Miederlagen feiner cigenen Ntannhaftigtit und cas Rorbchen ие geluder Schlangen im fiinften Wit und endlid) der Giftwurm an der weifen Brujt Cleopatra’s geben ihm ein Bild, das er fobald nicht wieder Io8 wird und bas, wenn irgend was von geiftiqem Leben int и ftedit, ihn anbern Tages treibt, nad dem „ие“ und two зи fragen und jur Briide fitv ihn wird, die thn gur Renutnif und wenn die Gdtter ihm wohl wollen, gur Erfenninif ПИ Warum alfo ein folded Stil nicht auffiihven? warum fich damit entfdul- igen, bak die grofe Weenge feinen Ginn und fein BVerftandnifR oa- fitv habe? 8 tft Wufgabe des Theaters, diefen Sinn zu tweden; bas BerftandnigR wird dann folgen. Die Sdwierigheit ift nur die, nicht febl gu gveifen, went e8 fic) um die Erivedung jened Sinned Handelt, Was noth thut, dad ift ein Lihner Griff. Зе ви lich umd zaghaft verfabrt, macht fic) und die Gace Licherlich, wer tapfer gufaft, ber hat’s. 8 ift deshalb feb wohl moglidh, таб Shatefpeare noch mehr auf die VBorftadt-Biihnen als auf die Rinig- lichen Theater gehsrt. Dreift gefpielt, mag ev gelegentlich 31 derb fein fiv Plifehjige und hundertarimige Kronleuchter, und an unvech- ter Stelle mag fomifdh wirfen, was auf Tragif berednet ift; aber unter natiivliden Menfden fchweigt wie von felbft ein itberfeinerter Gejdmac und wir lernen theilnehmen an einer Freude, die uns an andevem Ort und wnter anderer Umgebung vevfagt geblieber mare. — Gefpielt wurde entfeglich. Gin Kind, hinter den Kouliffen, hatte ben Keucjhuften und wurde nur dann nicht gehirt, wenn die Sdhau- fpieler an einer Gffeltftelle ihy WenRerjtes баки. Mir fam das huftende Kind vor wie ein engagivter Stintmmeffer, eigens aufge- ftelit, um die Mitfpielenden auf auferfter Stimmbshe gu erhalten. Miz Glynn, eine beriihmte Schaufpielerin, die als Cleopatra gaftirte, поно ba wie Demoifelle Rachel unter ihren Roffertriigern. Die Scene mit den Selangen, von dev id) nie und nimmer gedacht hatte, ров fie tragifd wirfen fSnne, machte einen auferordentliden Effet, Gerlag vou Heinrich Schindler in Berlin. — Den vor Crowikld and Sohn in Verlin,